Wochenende. Der hart arbeitende Grafikdesigner lässt den Stift – Verzeihung – die Mouse fallen und stürzt sich ins Abenteuer. Im Flur steht und liegt mittlerweile einiges an Zeug, das für die anstehende große Costa Rica-Reise getestet werden will: Eine Stirnlampe, ein wasserfester Rucksack, ein Trinksack und die viel diskutierten Tropenstiefel von Torsten.
Wir wollen alles ausprobieren und packen unsere Sachen. Unser Ziel liegt von Leipzig aus eine Dreiviertelstunde Fahrt in den Norden im 75.000 Hektar großen Naturpark, der „Dübener Heide“. Dort angekommen suchen wir uns ein Plätzchen beim Presseler Heidewald und Moorgebiet, stellen den Berlingo Macabre ab, schultern unsere Rucksäcke und wandern gespannt los.
Erschöpfter Boden im wohlverdienten Altersruhestand
Seit mindestens 250 Jahren hat der Mensch die Dübener Heide von unten nach oben gekehrt. Braunkohle und Torf und eine sich ansiedelnde Industrie bei Bitterfeld-Wolfen, die beide Rohstoffe für ihre Produktverarbeitung benötigte, waren Anlass an den Naturressourcen der Dübener Heide herumzuzerren. Noch um 1950 wurde hier Torf gestochen. Diese Eingriffe haben das Landschaftsbild nachhaltig verändert. Was wir heute sehen, ist nicht die ursprüngliche Moorlandschaft sondern ein Gebiet in der Verschnaufpause mit Gruben, die der Torfstich zurück gelassen hat. Grund- oder Niederschlagswasser führten dazu dass sich in ihnen sogenannten Restseen gebildet haben. Da der Torf so deutlich von Menschenhand reduziert wurde sind die charakteristischen nährstoffarmen (dystrophe) Gewässer extrem selten und darum so schützenswert. Torf ist ein aus Torfmoosen (Sphagnum) entstandenes organisches Sediment und sozusagen das Faultier unter den Sedimenten, denn es benötigt extrem viel Zeit um sich zu bilden. Mit einer Schicht von 1 – 10 mm pro Jahr kann es bis zu 4.000 Jahren dauern, bis das Presseler Moorgebiet wieder sein ursprüngliches Erscheinungsbild zurück bekommt. Ein Zweckverband unterstützt diese positive Entwicklung seit fast 30 Jahren eifrig mit Um- und Instandsetzung des Naturschutzgebietes. Es darf also vorsichtig Hoffnung keimen. Wir finden: Schön ist es hier auch jetzt schon!
Das Gebiet, das wir durchwandern, bietet mit seinen vierzehn Lebensraumtypen, unter denen sich allein fünf verschiedene Waldarten wie Heinsimsen-Buchenwald oder Erle-Esche-Weichholzauenwald befinden, viel Abwechslung für das Auge. Wir laufen durch Waldkiefer-Moorwald und betreten – ein Hinweisschild sagt uns dies deutlich inklusive aller Verbote – das eigentliche Moor. Uns fällt sehr schnell auf wie wenig feucht diese eigentlich wasserreiche Gegend ist. Die langen Monate der Dürre haben auch hier deutlich an den Wasservorräten genagt.
Offene Wasserflächen sind kaum zu sehen. Die Schlenken (Wasserrinnen im Moor) liegen trocken und nur wenn man auf dem Boden kniet spürt man durch sein Eigengewicht das Feuchte durch den Stoff der Hose dringen. Ich denke der Mangel an Wasser ist vielleicht auch der Grund warum uns kein Biber über die Füße steigt. Den soll es hier eigentlich geben, aber keine Ahnung wohin die Tiere verschwunden sind. Unser Antibrum haben wir umsonst eingepackt, weil sich auch die Stechmücken komplett verzogen haben, sehr ungewöhnlich für ein Moor. Es ist sehr still, es riecht nicht feucht und moorig, sondern etwas grün und staubig. Nur wenige Libellen schwirren an uns vorbei.
Trotzdem merkt man deutlich dass man sich in einer außergewöhnlichen Landschaft befindet. Die Pflanzenwelt wirkt auf uns fremd und ungewohnt. Durch das besondere Wasser- und Bodenklima siedelt hier Flora, die sich anderweitig nicht wohl fühlen würde. Eng an den Boden geschmiegt wachsen kleine violett-rote Kugeln, die sich beim näheren Hinsehen als Rundblättriger Sonnentau (Drosera rotundifolia) entpuppen. Ist da vielleicht sogar ein leckerer Fang in dem mittleren tentakelbestückten Blatt? Es gibt nicht wenige Sonnentau-Arten, die bis zu 50 Jahre alt werden können. Vielleicht ist dieser kleine Kollege auf dem Foto älter als ich, aber ich bin mir nicht sicher ob auch D. rotundifolia ein so beeindruckendes Alter erreicht. Immerhin zieht sich das zähe, fast ausschließlich carnivore Pflänzchen, sobald es kalt und frostig wird, in eine Überwinterungsknospe (ein „Hibernakel”) zurück und bleibt so lange in diesem drin, bis die Witterung draußen wieder angenehmer wird. Dann treibt der Sonnentau neu aus und darf auf ein weiteres, hoffentlich fliegenreiches Jahr hoffen.
Auf den freien grasbewachsenen Flächen fallen uns kleine fluffige Wattebäusche auf. Hier streckt Schmalblättriges Wollgras (Eriophorum angustifolium) seine weißen Puschel rund 60 cm in die Höhe. Auch diese Pflanze lässt sich vorwiegend an Moorstandorten mit nährstoffarmen Boden finden. Was wir sehen ist nicht die Blüte, denn die ist seit spätestens Mai vorbei, sondern die „Karyopse”, die fertig ausgebildete Frucht kurz vor ihrem Abflug. Entgegen seiner Flauschigkeit lässt sich Wollgras nicht zu Wolle verarbeiten, da es zu brüchig ist. Es soll aber (darauf keine Gewähr…) gegen Durchfall, Darmentzündung und Husten und, ach ja, bestimmt auch Impotenz helfen…
Am Rande des Moores wächst vereinzelt Adlerfarn (Pteridium aquilinum). Abseits der sonnigen Flächen, im tieferen Schatten der Bäume breitet sich diese Pflanze zu beeindruckenden Farnfeldern zwischen den Baumstämmen aus und bildet Flächen, so weit und tief das Auge in den Wald hinein schauen kann. Dieser Farn kann bis zu vier Metern hoch werden und in der Tat kommen wir durch einige Waldbereiche, in denen zumindest ich über die Farnspitzen nur noch mühsam drüber hinaussehen kann. Ist das mögliche Alter des Sonnentaus schon beeindruckend, so schlägt der Farn es um Längen. Nicht die Wedel, sehr wohl aber das unter der Erde kriechende Rhizom (Wurzelstock) kann unglaublich groß und sehr alt werden. Der Wikipedia-Artikel zum Adlerfarn erwähnt ein Rhizom von 60 Metern Länge, dass demzufolge ein Alter von 1.500 Jahren haben muss.
Ich kenne Farn als sattes und saftiges Grün (ähm, bis auf den kläglichen und nur sehr kurzlebigen Blumentopfversuch zuhause). Diese Adlerfarne hier aber haben Durst, deutlich Durst! Teilweise sind ganze große Flächen im Wald an den unteren Wedeln komplett braun und nur die oberen Blätter recken sich noch hoffnungsvoll und grün in die Höhe. Es wird Zeit dass wir umdenken. Es wird Zeit dass Klimaskeptiker endlich ihre Skepsis über Bord werfen.
Keine Biber, aber…
etliche andere Tiere kreuzen unseren Weg oder hinterlassen Spuren und bleiben uns auf diese Weise nicht verborgen. In den Bäumen um uns kreischen und flöten mit einem erstaunlichen Repertoire an Tönen die Eichelhäher. Eine kleine braune Eidechse, zu schnell für einen genaueren Blick und gleich drei Mal zu schnell für die Kamera ist, huscht zwischen den Gräsern davon. Tief in das Moor haben sich die nächtlichen Spuren der Wildschweine eingegraben. Überall springen winzige braune Moorfrösche zur Seite und da, links im Gebüsch, liegt eine wunderschöne große Feder, vielleicht von einem Mäusebussard.
Wieder im Wald fallen mir auf dem sandigen Weg kleine, rund 2 cm große Trichter auf. Komme ich ihnen zu nahe, verschwindet blitzschnell in ihrem Zentrum ein kleines Tier. Hier gibt es also Ameisenlöwen! So zumindest nennt der Volksmund diesen mit mächtigen Kiefernzangen, Zähnen und Gift ausgerüsteten Räuber, der eigentlich noch gar nicht das ausgewachsene Tier ist. Nach einer gewissen Reife- und Ruhezeit entschlüpft der Puppe, in das sich dieses Minimonster zurückgezogen hat, eine wunderschöne Ameisenjungfer: Ein schlanker Hautflügler mit zierlichem Körper und fragilen Flügeln. Dieses hübsche Tier gräbt sich aus dem Sand und beginnt den Zyklus vom Leben, Lieben und Sterben von Neuem. Da der Ameisenlöwe geschützt ist und wir ihn auch nicht stören möchten, können wir leider nicht sagen ob es sich hier um Myrmeleon formicarius oder um Euroleon nostras handelt. Dies sind zumindest die beiden Arten, die bei uns in Deutschland vorkommen.
Zum späteren Abend, das Licht verflüchtigt sich schon, zieht ein riesiger Schwarm Stare mit rauschenden Flügeln über unsere Köpfe hinweg. Wir befinden uns nun außerhalb des Naturschutzgebietes, um auf einer Wiese unser Biwak einzurichten. Aber das, liebe Lesende dieses Blogs, ist eine andere Geschichte. Ebenso verhält es sich mit dem Erlebnis am folgenden Tag, denn da dürfen wir noch eine ganz besondere Begegnung machen, von der Torsten hier berichtet.
Nasse Füße hat Torsten an diesen zwei Tagen mit seinen Tropenstiefeln (leider) nicht bekommen, obwohl er das unbedingt wollte. Dazu sind Tropenstiefel nämlich da. Für den Regenwald gilt: Ist sowieso alles schwitzig und nass dann gib einfach auf und nimm es als gegeben. Also lieber Schuhe mit einem funktionierenden Abflusssystem, als Schuhe, die das Wasser dann nicht mehr rauslassen. Dafür hat Torsten aber ordentlich Wundrieb durch das noch steife Leder an seinen Füßen. Zumindest lässt nach unserer Rückkehr die aus dem Badezimmer gerufene Frage „Haben wir eigentlich Blasenpflaster?“ dieses schmerzhafte Mitbringsel vermuten. Ich glaube wir müssen noch Kilometer laufen bis die Stiefel weich und knautschig werden. Und dann brauche ich ja auch noch welche. Vielleicht doch Gummistiefel und dann einfach Wasser auskippen? Ach ist das schwer… 🙂
Mehr Infos zum Thema:
Das sagt der NABU über den Presseler Heidewald
Auflistung und weiterführende Erklärungslinks zu den vierzehn Lebensraumtypen
Ausführlicher Artikel zur Geschichte der Dübener Heide