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10. Juli 2022

Was brummt denn da?

Steckbrief: Der Sonnenwendkäfer

By In Creepy Crawlies, Deutschland, Europa, Mensch und Natur, Tierbeobachtungen

Steckbrief: Der Sonnenwendkäfer

Spätestens Ende Juni, vorausgesetzt der Sommer tut was er soll, nämlich heiß sein, setzt in europäischen Parks, Gärten und an Waldrändern ein emsiges Treiben ein. Zeitgleich läuft Google heiß: Was brummt denn da? Ist es böse? Kann es beißen? Warum fliegt es mir mitten in die Fresse? Was will es von mir?

Nichts, liebe Leser:innen! Was da so torkelig und völlig verwirrt aus dem Boden gekrabbelt kam und nun mit maximaler Anti-Eleganz durch den Sommerabend eiert, möchte nur Bäume und Blüten finden, fressen und (tadaaa!) mit anderen seiner Art poppen! Und dafür bleibt nicht viel Zeit, denn der dicke Krabbler, der Protagonist dieses Artikels, hat nach zwei, manchmal sogar drei Jahren im dunklen Erdreich nur knappe acht schöne Sommerwochen Zeit den Traumpartner seines kleinen Käferherzens zu finden.

Ich darf hiermit vorstellen: Der Sonnenwendkäfer!

Dicker Brummer – dieses unelegante Amphimallon-Käfermännchen hat sein Liebchen noch nicht gefunden und balanchiert statt dessen etwas hilflos auf dem Nerd-Finger. (Foto: ©Torsten Schneyer, 2017)

Der Name – eine Entscheidungsfindung

Braun und dick ist er, um die 18 mm groß und richtig plüschig. Die meisten Leser:innen werden ihn unter dem Namen „Junikäfer“ kennen. Aber zum einen finde ich den Populärnamen „Sonnenwendkäfer“ für Amphimallon solstitiale einfach hübscher – denn immerhin macht sich der Käfer um die Sommersonnenwende, also gegen den 21. Juni, auf den Weg nach oben. Zum anderen ist der Begriff Junikäfer mehr als schwammig. Je nachdem welche Generation gefragt-,  oder in welchem Teil Deutschlands diese Frage gestellt wird, sind mit Junikäfern ganz unterschiedliche Sechsbeiner gemeint. Selbst der Marienkäfer, völlig andere Baustelle (sprich anderer Clan, andere Familie), wird gerne von unserer Großelterngeneration als „Junikäfer“ bezeichnet.
Dann gäbe es da noch den „kleinen Maikäfer“, aber das degradiert den Sonnenwendkäfer meines Erachtens zu einem Krabbler zweiter Klasse und dies hat er nun so gar nicht verdient. Bleibt noch „Gerippter Brachkäfer“, aber um das unfallfrei auszusprechen, braucht es viele Glas Rotwein – das KANN nicht gesund sein!
[Anmerkung Torsten: Einspruch, euer Ehren! Bei allem verständlichen Frust auf das deutsche Trivialnamen-Hickhack: „Gerippter Brachkäfer“ hat sich in populärwissenschaftlichen Kreisen anscheinend durchgesetzt und ich habe das Viech jetzt in meinem Video (siehe unten) so genannt. Hiermit gebe ich die Verwirrung also voll an die Leserschaft weiter, hehe]

Zwei Jahre Hikikomori

Unser Sonnenwendkäfer beginnt seine Lebensreise, wie alle Insekten als kleines Ei, das von Mama Käfer im vorzugsweise trockenen, leicht sandigen Boden abgelegt wird – gemeinsam mit bis zu 80 weiteren Eiern. Nach drei Wochen schlüpft die Larve. Bei Käfern wird in der Regel vom „Engerling“ gesprochen, einem blassen Alien mit braunem Kopf, sechs Beinen und einem immer dicker werdenden weißen Körper. Kindchenschema geht anders und wird auch nicht benötigt, denn nach der Eiablage stirbt das erschöpfte Weibchen in absehbarer Zeit und die Kiddoes im Erdreich sind sich selbst überlassen.
Gefahren gibt es viele: Maulwürfe, wühlende Wildschweinschnauzen, schlaue Krähen – so ein Engerling muss nun zwei Jahre gut Acht geben, um nicht als leckerer Proteinhappen in irgendeinem Magen zu landen. Hinzu kommt das Wetter. Wird es richtig heiß wühlen sich die Käferkinder von ihren bevorzugten 50 cm Tiefe bis in drei Meter Finsternis hinunter. Auch tiefer Frost im Winter sortiert aus und sorgt dafür, dass in manchen Jahren kaum Käferschwärme im Juni zu sehen sind. Nur die ganz Harten bleiben übrig und tun sich an allen Pflanzenwurzeln ausgiebig gütlich – sehr zum Grauen von allen, denen ein schöner Garten gehört. Dies ist der Grund, weshalb eine Googlesuche nach dem „Junikäfer“ erst mal eine Reihe an Insektenvernichtungsmethoden auflistet – der Mensch halt…

Das Frühjahr mit seinen letzten Frösten ist das Signal für den inzwischen bis zu 30 mm großen Engerling, sich zu verpuppen. Wenn alles gut geht, wühlt sich nach sechs bis acht Wochen ein perfekt-pummeliger Käfer durch den Boden hinauf an das Tageslicht. Nun beginnt die Orgie, der Hikikomori, der zurückgezogene Einsiedler, wird zum orgiastischen, wenn auch recht plumpen Swinger.

Die Party beginnt

Sonnenwendkäfer sind abends und nachts unterwegs. Tagsüber halten sie sich lieber versteckt, was aufgrund ihrer grottenschlechten Flugkünste auch ratsam ist, wollen sie nicht ein Leckerbissen für die Vogelwelt werden. Die Männer sind deutlich aktiver. Rund zwei Drittel der herumtorkelnden Brummer sind Männchen, die Weibchen schauen eher, was ihnen so vor die Füße fällt. Apropos Füße: Weibchen lassen sich an den drei Zacken an ihren Vorderbeinen erkennen, ihre männlichen Partner besitzen nur zwei.

An den Vorderbeinen lassen sie sich unterscheiden: Links das Weibchen, rechts das Männchen. (Foto: wikipedia, entomart)

Wenn Käfer also zählen können, sollte nichts schief gehen. Die Orgie darf starten. Da diese Käferart in einem so engen Zeitfenster schlüpft, bilden sich alsbald an den Sommerabenden beeindruckende Biomassen in Form von recht laut brummenden Käferschwärmen. Alles, was nach Baum aussieht, wird angeflogen. Immerhin könnte sich da entweder eine Mahlzeit in Form von Blatt und Blüte finden, oder ein hübsches Weibchen. Dass hin und wieder ein Mensch mit einem Baum verwechselt wird, oder ein Straßenlaternenpfahl, oder ein Haus – egal – kann vorkommen und sorgt bei der zivilisationsverwöhnten Gattung Homo sapiens für teils tiefes Entsetzen. Es scheint, die angriffslustigen Mörderkäfer sind los und sie haben es auf uns Menschen abgesehen! Ich rate zur Tiefenentspannung. Einfach die wirren Brummer aus Haaren, Biergläsern und Kleidung pflücken und irgendwo hinsetzen, damit sie tun können, was Käfer eben so tun. Und es gibt nicht wenige, die sich über den Käferansturm ganz besonders freuen: Fuchs, Fledermaus, Marder & Co nutzen gerne den leicht zu haschenden Proteinsnack, um noch ein bisschen mehr Speck auf die Rippen zu bekommen. Ende Juli ist die Party allerdings vorbei. Mit der Eiablage beenden die Weibchen den Lebenszyklus und eine neue Generation bereitet sich im Boden auf den Schlupf in drei Jahren vor.

YouTube video

Die Borste machts

Der Sonnenwendkäfer gehört zur sehr großen und bis zurück in die Kreidezeit (145 – 66 Mio. Jahre vu. Z.) belegten Familie der Blatthornkäfer, in schlau: der Scarabaeidae. Rund 160 Arten gibt es alleine in Deutschland, wie sich auf der Kerbtier-Seite nachschlagen lässt, weltweit sogar zwischen 20.000 bis 28.000 Arten. In dieser Familie befinden sich auch bekannte und beeindruckende Exemplare wie der riesige Herkuleskäfer, der Nashornkäfer, die metallisch-funkelnden Rosenkäfer, unsere Mistkäfer sowie der heilige Pillendreher und, nicht zuletzt auch der ganz enge Verwandte, der Maikäfer.

Scarabaeidae sind eine große und recht alte Familie. Auch die hübschen Rosenkäfer gehören dazu. (Foto: © Birte Sedat, 2017)

 

Es gibt Menschen, die den Sonnenwendkäfer mit Maikäfern verwechseln. Ein zweiter, genauerer Blick macht aber auch für unbedarfteste Laien den Unterschied schnell deutlich. Mit ihrer Größe von 20 bis 30 mm unterscheiden sich die hierzulande bekanntesten Vertreter Feldmaikäfer und Waldmaikäfer deutlich vom kleineren Sonnenwendkäfer.

Links: Sonnenwendkäfer, rechts: Feldmaikäfer. Deutlich sind die Größenunterschiede und die weißen Dreiecke am Hinterleib des Maikäfers. (Bildquelle: wikipedia, Holger Krisp, Gail Hampshire)

Am auffälligsten aber sind die weißen Dreiecke, die Maikäfer seitlich an ihrem Hinterleib schmückt. Amphimallon kommt dagegen zwar flauschig, aber eher unscheinbar daher. Zudem haben Maikäfer in der Regel ihren recht ähnlichen Fortflanzungszyklus Ende Juni längst beendet. Gemäß dem sprechenden Namen „MAIkäfer“ sind sie ein bis zwei Monate früher dran.

Etwas schwieriger ist die Unterscheidung zu einem sehr ähnlichen und gleich großem Vertreter – dem Rhizotrogus marginipes, der allgemein ebenfalls im Volksmund Junikäfer genannt wird. Grundsätzlich lässt sich sagen: Unser Sonnenwendkäfer ist deutlich flauschiger! Während Rhizotrogus nur dezente, anliegende Behaarung besitzt, weist Amphimallon einen ordentlichen Borsten-Plüsch an Hinterleib und Seitenränder seiner Flügel auf. Rhizotrogus hat auch keine allzu deutlichen Rillen auf seinen Deckflügeln und wirkt insgesamt, insbesondere aber am Halsschild, heller als unser Sonnenwendkäfer.

Gourmettauglich – ja oder nein?

Bleibt noch die Frage: Was geschieht, wenn wir uns sicher sein können, dass dieses Subjekt, welches uns just in seiner orgiastischen Verwirrung in den staunenden Mund flog, ein Sonnenwendkäfer ist? Fallen wir jetzt tot und vergiftet um? Notarzt? Zwangserbrechen?
Keine Sorge. Der nahe Verwandte des Maikäfers ist genauso wie sein großer Kollege essbar und wahrscheinlich sogar sehr schmackhaft. Wildschwein, Krähe und Fuchs wissen das schon seit langem. Zur Erweiterung des Ernährungshorizontes der experimentierfreudigen Omnivoren unter unseren Leser:innen teile ich gerne meinen Netzfund mit euch. Tadaa, der…

Käferburger!

Zutaten (für zwei Personen):

2 Burgerbrötchen
8 Sonnenwendkäfer
1 EL Sesamöl
1 Chilischote
1TL Reisessig
2EL süßsaure Asiasauce
100 g Frischkäse
25 g Limettenblätter
1 EL Röstzwiebeln
100 g frischer Spinat
½ Bund Spargel
½ Tomate
4 Scheiben Gurke
4 Scheiben Käse

Zubereitung:

Für die Limettencreme: Frischkäse, gehackte Chillischote, Röstzwiebeln und Limettenblätter vermischen. Spargel putzen und blanchieren.
Junikäfer mit Öl und Chilli anbraten. Reisessig und Asiasauce hinzugeben. Limettencreme auf den Burgerbrötchen verteilen. Darauf werden gepackt: Gurke, Tomate, Spinat, Spargel, Käfer und Käse. Mit Sesamkörnern garnieren.

Guten Appetit und ohne Gewähr auf Leckerness… Ich hab mich nicht getraut und bleibe dann doch lieber beim Seitan-Burger 🙂

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