Mikroabenteuer, Naturbeobachtungen und Trekking für Leute mit Schlaubrille
18. Februar 2019

Achtbeiner aus der grünen Hölle

By In Costa Rica, Creepy Crawlies, Tierbeobachtungen, Weit, weit weg!

Spinnentiere im tropischen Regenwald

Die Nerds befinden sich bei der Online-Legung dieses Artikel tatsächlich in der Wildnis und berichten, fast schon live, direkt aus dem tropischen Regenwald Costa Ricas. Und das bedeutet vor allem eins: Spinnen! Vor allem ich (Torsten) bin ein echter Hobby-Arachnologe und gehöre zu den etwas abseitig veranlagten Gestalten, die sich tatsächlich darüber freuen, dass es hier mehr große, bizarre und auch teils nicht ganz harmlose Spinnen gibt wie sonst nirgends. Ein paar krabbelnde Freunde, denen wir auf unseren Exkursionen begegnet sind, möchte ich Euch in diesem Artikel, zusammen mit meinen Filmaufnahmen und Andis tollen Fotos, gerne vorstellen.

Blaue Sternchen und schleichende Jäger

Haarig, so groß wie ein Handteller, flink daher huschend und vor allem nachts unterwegs: Das sind die Wanderspinnen Mittel- und Südamerikas. Der Terminus der Wanderspinne ist allerdings unscharf und wird, je nach Land und taxonomischer Tradition, anders gebraucht. Laut Wikipedia weist die Familie der Miturgidae 29 Gattungen mit 125 Arten auf, dort ist diese Information mit einem in Klammern gesetzten Zusatz „Stand: 2017“ versehen. Die englische Wikipedia wiederum nennt die Familie der Ctenidae mit weitaus mehr Arten, die auch die bekannten gefährlichen Spinnen der Gattung Phoneutria enthält. Selbst gestandene Hobbyisten verbrennen sich regelmäßig in taxonomischen Diskussionen die Finger, daher gestehe ich hier gleich und unumwunden mein Halbwissen ein. Eines steht jedoch soweit fest: Die meisten der von mir gesichteten und in diesem Artikel erwähnten Tiere fallen in die Familie der Ctenidae.

Einer großen Wanderspinne zu begegnen, ist für den Spinnenliebhaber immer wieder ein erhebender Moment, denn die beeindruckenden Tiere, die ihre Beute ganz ohne Netze und oft im beherzten Sprung erledigen, sind athletische Jäger, die in jeder Nacht größere Wegstrecken zurück legen und mit überraschender Geschwindigkeit verschwinden können. Große Insekten sowie kleine Frösche fallen ihnen dabei zum Opfer.

Nerds in der Wildnis

Wir erkunden und bloggen aus Leidenschaft!

Gut recherchierte Artikel kosten viel Arbeit, Zeit und Geld. Wenn euch diese Arbeit gefällt, helft uns mit einer Paypal-Spende dabei, unsere Arbeit fortzuführen und auszubauen. Oder uns zumindest mit ausreichend Kaffee zu versorgen. 😉


Ein Glitzern im Gras

Apropos Jäger: Wie findet man auf dem braunen Laubboden des tropischen Regenwalds ein vergleichsweise kleines und bestens getarntes (weil ebenso braunes) Tier, das nicht gefunden werden will und dazu auch noch nachtaktiv ist? Es gibt einen wunderbar einfachen Trick, mit dem man nicht eine, sondern hunderte in einer Nacht finden kann, und zwar auf eine Distanz von 20 Metern: Man kauft sich eine Stirnlampe und geht nachts auf die Suche! Geht man mit einer solchen Lampe bei Dunkelheit durch den Wald, glitzern plötzlich im Gras, im Gebüsch und auf den Stämmen der Bananenpalmen – wie winzige Sternchen – die Augen der kleinen Jäger auf. Rote Reflexionen entpuppen sich meist als Frösche, Weiß entlarvt nachtaktive Schlangen und Blau oder Grün in der Regel Spinnen (Anmerkung: Es gibt Gattungen aller genannten Tiergruppen, die diese Regel durchbrechen).

Augenleuchten einer Spinne
Augenleuchten am Beispiel einer Ancylometes-Wanderspinne: Links die Ansicht eines Waldweges mit einigen deutlich erkennbaren Spinnenaugen. Jedes helle Pünktchen ist eine Spinne, die mich anstarrt! Rechts die Spinne (verantwortlich für die mittige Reflexion in der linken Hälfte) aus der Nähe. Die Fotos (inklusive des Leuchtens) sind echt und wurden nur sachte nachbearbeitet, um dem tatsächlichen Seh-Endruck so nah wie möglich zu kommen. Foto: Torsten Schneyer.

Woran liegt das? Die Augen aller Wolfs,- Jagd-, Raub- und Wanderspinnen haben mit denen größerer, nachtaktiver Raubtiere, wie z.B. Katzen, eines gemeinsam: Sie müssen mit wenig Licht auskommen. Deshalb verfügen sie über eine reflektierende Schicht aus eingelagerten Guanin-Kristallen, die das eintreffende Licht, nachdem es die Netzhaut passiert hat, von hinten auf diese zurück wirft und so ein zweites mal auswerten lässt. Das sogenannte Augenleuchten der Wanderspinnen ist also das Ergebnis eines eingebauten Restlichtverstärkers. Diese Reflexion kann man als menschlicher Beobachter dann am besten wahrnehmen, wenn das ausgesandte Licht möglichst auf der gleichen Achse wie das menschliche Auge strahlt… daher die Stirnlampe.
Kleiner Tipp zum selber Ausprobieren: Um diesen Effekt zu beobachten, muss man nicht unbedingt in die Tropen reisen: Auch die Augen einheimischer Wolfs- und Jagdspinnen leuchten in warmen Sommern auf nächtlichen Waldlichtungen.

Drei Wanderspinnen, kurz vorgestellt

Dreierlei Spezies haben mich auf meinen Exkursionen besonders beeindruckt:
Eine nicht näher bestimmbare große Wanderspinne der Gattung Ancylometes begegnet uns immer wieder. Sie hat in etwa die Größe und auch das Aussehen einer schwarzen Tarantel und schreitet über die Wege, als würde der Wald ihr gehören. Diese Spezies hat sich mir gegenüber als zwar defensiv, aber dennoch latent aggressiv gezeigt: Ein störendes, von mir gehaltenes Ästchen wurde umgehend untersucht und in die Chelizeren genommen.

Ancylometes
Eine Wanderspinne unbekannter Art, nur die Gattung scheint über das Internet ermittelbar zu sein: Ancylometes.

Wendet man den Stirnlampentrick nachts an einem der vielen kleinen Bäche im Regenwald an, stellt man fest, das auffällig viele Spinnenaugen direkt an der Wasserkante aufglühen. Eines Abends wate ich durch den Bach, der an unserem Hostel vorbei führt und beobachte, wie kleine Fische vor meinen Gummistiefeln davon flitzen. Hin und wieder springen sie sogar in ihrer panischen Flucht aus dem Wasser und ein unglückliches Fischlein verkalkuliert sich: Es landet zappelnd am Ufer, wo bereits etwas sehr langbeiniges, borstiges auf diese Gelegenheit gewartet hat: Ein blitzschnelles Huschen, ein kurzes Ringen und schon ist der Fisch überwältigt. Von einer Spinne! Einer Spinne, die Fische und Kaulquappen frisst. Glaubt ihr nicht? Dann schaut euch das Video unten an, ich habe natürlich sofort die Kamera eingeschaltet. Die Langbeinigen Bachspinnen Trechalea sind ein Kuriosum: Riesig wie eine Kinderhand hocken sie, aufgespannt wie ein Rad, direkt am Rand kleiner, ruhig fließender Bäche und legen das erste Beinpaar direkt auf die Wasseroberfläche. Wie ein Seismograph spüren sie auch noch die kleinsten Erschütterungen des Fluidums und schnappen sich unvorsichtige Wasserbewohner. Stört man sie, verschwinden sie einfach… und das meine ich genau so, wie ich es schreibe. Denn ihre Fluchtgeschwindigkeit über (!) das Wasser verwirrt jedes menschliche Auge.

Mein persönlicher Liebling ist jedoch die Große Fischerspinne Ancylometes bogotensis. Ähnlich wie die Bachspinne bevorzugt sie die Nähe von Gewässern, wo sie Kaulquappen, kleinen Fischen und Wasserinsekten nachstellt. Ihre kontrastreiche Zeichnung mit den charakteristischen hellen Rändern am Carapax und den weißen Metatarsen (das sind die zweitletzten Glieder der Beine) lässt sie sehr apart erscheinen. Was mir an ihr besonders gefällt, ist ihre Friedlichkeit dem Menschen gegenüber. Zwei große Tiere, die ich bis dato fand, zeigten keinerlei Anzeichen von Beissfreudigkeit und waren beim Handling sehr passiv… obwohl ich mir sicher bin, dass ein Abwehrbiss eine unangenehme Sache wäre.

WICHTIGE ANMERKUNG: Bitte nicht nachmachen! Spinnentiere zu berühren kann für die Tiere, aber auch für den Menschen, negative Folgen haben. Ich habe jahrelange Erfahrung im Umgang mit Spinnen und Skorpionen, weiß, wie man die Tiere handhabt ohne sie zu stressen, kann ihre Körpersprache lesen und vor allem die harmlosen Arten von den weniger harmlosen unterscheiden. Ich bitte alle LeserInnen, denen die entsprechende Sachkenntnis und Praxis fehlt, Spinnentiere (insbesondere die tropischer Regionen) nur aus angemessener Entfernung zu bewundern.

Ancylometes bogotensis
Ancylometes bogotensis ist, wie einige Vogelspinnen, beeindruckend, aber erfreulich zurückhaltend. Foto: Andreas Delp.

Wanted: Die Wanderspinne Phoneutria

Während ich diesen Artikel schreibe, halte ich mich übrigens nach wie vor in Costa Rica auf. Auf meiner Wunschliste steht die – für den Menschen gefährliche – Phoneutria boliviensis, die ich bisher nicht finden konnte, obwohl sie hier sehr häufig sein soll. Sollte ich einer begegnen, werde ich diesen Artikel umgehend ergänzen.

Die Domina des Waldes

Der Regenwald rund um die Drake-Bucht in Costa Rica ist kein plattes Land. Teils direkt an der Küste steigt das Geländeprofil bereits an und bildet bewaldete Hänge. Für den Wanderer bedeutet das zum einen: Eine Menge schweißtreibendes Auf-und-ab auf Hangwegen, andererseits immer wieder frei liegende Geländeabbrüche mit nacktem Mutterboden. Solche Stellen sind bei Nacht der bevorzuge Aufenthaltsort eines besonders bizarren Wesens: Geiselspinne, Whip Spider oder Whip Scorpion sind Trivial-Synonyme für dieses Tier, und all diese Bezeichnungen sind irreführend. Die Geiselspinnen (Amblypygi) sind weder Spinnen noch Skorpione, sondern bilden eine eigene Ordnung innerhalb der Spinnentiere. Ihr flacher Körperbau mit den nach hinten angewinkelten Beinen hat etwas krabbenartiges und tatsächlich bewegen sie sich wie Krabben gerne seitwärts fort. Das vorderste Beinpaar, die Pedipalpen, sind als Fangapparat ausgebildet und erinnern an die Werkzeuge von Gottesanbeterinnen. Geiselspinnen sind Lauerjäger und postieren sich nachts exponiert an besagten Erdhängen oder an Baumstämmen. Das zweite Beinpaar ist zu extrem langen Antennen umgebildet, die den Geiselspinnen ihren Namen gaben. Natürlich dienen diese nicht dazu, andere Krabbeltiere zu peitschen… ganz im Gegenteil. Potenzielle Beute wird damit ganz sanft bestrichen. Chemische Rezeptoren registrieren die Essbarkeit des betasteten Lebewesens, meist eines Insekts. Hat der potenzielle Snack den Test bestanden, nähert sich die Geiselspinne langsam; und bei ausreichend kleinem Abstand zum Ziel erfolgt schließlich ein blitzschneller Zugriff mit den bedornten Fangbeinen.

Geiselspinne
Nahaufnahme von Phrynus laevifrons. Foto: Torsten Schneyer.

Geiselspinnen haben keine Giftdrüsen, die festgehaltene Beute wird einfach lebendig zerkaut… eine weitere Gemeinsamkeit mit Fangschrecken, aber auch mit den verwandten Solifugen und Geiselskorpionen. Die von mir beobachteten Tiere gehören wahrscheinlich zur Art Phrynus laevifrons. Für den Menschen sind Geiselspinnen völlig harmlos und unser Guide Tracie, „The Bug Lady“, zeigt uns während einer Nachtexkursion, wie man eine fängt: Erst schnell, aber sachte mit dem Zeigefinger gegen die Erde pinnen, dann von hinten ergreifen und anheben. Wusste ich vorher auch noch nicht…

Der psychodelische Skorpion

Erst sind wir überrascht, dann erfreut, als Tracie eine lila glühende Schwarzlicht-Taschenlampe zückt und die Erde ableuchtet… denn wir wissen, was wir nun erwarten dürfen. Wir wussten bereits im Vorfeld unserer Reise, dass Arachnologen und Feldbiologen zum Aufspüren von Skorpionen UV-Licht verwenden und haben lange mit der Frage gerungen, ob wir uns für Costa Rica solch eine Lampe anschaffen sollen oder nicht. Letztendlich schien uns der Anwendungszweck dann doch zu begrenzt, um das Zusatzgewicht im Gepäck zu rechtfertigen. Umso schöner, dass auch die hiesigen Öko-Guides bestens informiert sind und wir die Lightshow ohne weiteren Eigenaufwand genießen dürfen. Jedenfalls ist es eine der vielen humoresken Obskuritäten, dass Skorpionen unter Schwarzlicht leuchten wie die Dekoration einer Goa-Party! Und es dauert dann auch nicht lange, bis der erste Skorpion grün fluoreszierend (kennt ihr eigentlich den Unterschied zwischen fluoreszierend, phosphoreszierend und lumineszierend? Eventuell sollte ich darüber einen eigenen Artikel verfassen) im lila Lichtkegel hockt. Um den Effekt animiert zu bewundern, bitte hoch scrollen und das Video anschauen!

Skorpion in Costa Roca
Zwei Skorpione der Gattung Tytius, links unter UV-Bestrahlung (Foto: Diego Mossqueral). rechts unter weißem Licht (Foto: Torsten Schneyer)

Es ist ein Dickschwanzskorpion der Gattung Tityus, eventuell die Art T. dedoslargos. Meine Bestimmung ist natürlich mit gewisser Skepsis zu betrachten, denn die Arten der Gattung sehen sich alle sehr ähnlich und ich bin auf keinen Fall mit taxonomischem Expertenwissen gesegnet. Die genannte Art ist auf Osa lediglich sehr häufig und mehrfach von kompetenterer Stelle bestätigt. Diese Skorpione werden recht groß. Die Exemplare, die wir sehen, haben gute 8-10 cm Länge zu bieten. Die Schweren sind schlank und die braune Farbe ist eine gute Anpassung an den mit totem Laub bedeckten Erdboden. Uns verblüfft, dass wir die Tiere auf der einen Nacht-Exkursion primär auf großen Blättern in Hüfthöhe- und auf einer zweiten in Erdhöhlen- hocken sehen. Tracie erklärt uns, dass dies mit der Lichtsituation zu tun hat: In sehr dunklen Nächten klettern die Skorpione in die Bäume, bei Vollmond jedoch verstecken sie sich lieber am Boden, da sie sich nicht sicher fühlen. Dies könnte auch das UV-Leuchten des Panzers erklären, der Forscher Karlt T. Klook hat eine Theorie dazu.

Über das Gift von Tityus konnte ich einiges herausfinden, auch wenn sich die meisten Fachartikel auf die Art T. serrulatus beziehen. Das Gift ist, wie bei fast allen Tiergiften, ein Komplexgift. Die wichtigste darin enthaltene Komponente nennt man Tityustoxin. Die Substanz blockiert die Sodiumkanäle der Nervenzellen. Sie verursacht nicht nur starken Speichel-, Tränen- und Nasensekretfluss, sondern auch eine Bauchspeichelentzündung und steht bei Tropenärzten im Ruf, für sehr junge, alte oder kranke Menschen lebensbedrohlich zu sein. Deshalb heißt es für uns: Respektvollen Abstand halten!

 

Der Oger unter den Spinnen

Die Oger- oder Kescherspinne Deinopis ist eine der bizarrsten Achtbeiner, denen man in Mittel- und Südamerika begegnen kann. Ein ganz zartes, kleines Spinnchen ist sie, jedoch mit -im Verhältnis zur eigenen Körpergröße – geradezu grotesk riesigen Hauptaugen. Diese sind bei Nacht extrem lichtempfindlich. Die Spinne postiert sich in der Regel glubschenderweise direkt über einer Unterlage, z.B. einem Ast, frei am eigenen Gespinst hängend. Dann spinnt sie ihren berühmten Kescher: Ein kleines, sehr geometrisch-rechteckig aussehendes Netz, welches sich mit den zwei vorderen Beinpaaren (ein Bein an jeder der vier Ecken) festhält. Sobald ein kleines Beutetier unterhalb der hängenden Ogerspinne entlang krabbelt, stülpt diese ihren Kescher blitzschnell über die Beute. Dieser Vorgang ist nur mit viel Geduld und Highend-Equipment zu filmen, interessierte LeserInnen mögen daher auf diesen Youtube-Link zurückgreifen.

 

Netze, so groß wie ein Bettlaken

Die widersprüchlichsten Gefühle dürfte bei spinnenskeptischen Naturen eine Kreatur erzeugen, die man hier auf der Halbinsel Osa im tieferen Wald oder in den ruhigen Randgebieten menschlicher Ansiedlungen finden kann.
Nephila clavipes, die Seidennetzspinne, ist ein Respekt gebietender Arachnide von bis zu 12 cm borstiger Beinspannweite und thront in einem Radnetz von bis zu 120 cm Durchmesser, dessen Haltefäden auch gerne mal den kompletten Weg überspannen können. Soviel zur „Nope!“-Seite für Phobiker. Auf der versöhnlichen Seite der Gleichung steht die Tatsache, dass die Tierchen wunderschön gefärbt, unsereins gegenüber sehr friedlich gesinnt und außerdem ortstreu sind. Webspinnen der Gattung Nephila sind weltweit in den Tropen verbreitet. Um die größten, netzbauenden Spinnen und um ihre riesigen Netze rankt sich manches Kuriosum:

Wahr oder unwahr? Fakten-Check zur Seidennetzspinne.

Oft ist zu lesen, dass die gelb-schwarze Musterung der Nephila eine Warnfärbung sei, die auf die Giftigkeit der Spinnen hinweise. Diese Behauptung ist erwiesenermaßen unrichtig. Zwar kann das Gift der Seidennetzspinne durchaus zu Irritationen und Unwohlsein führen, doch produziert das Tier, im Gegensatz zur oben erwähnten Wanderspinne Phoneutria, nicht genug für einen echten Giftbiss, der Menschen ernsthaft gefährlich werden kann. Nephila ist zart gebaut und benötigt ihr Gift dringend zum Lähmen der in ihrem Netz gefangenen Fluginsekten. Deshalb geht sie sehr sparsam damit um. Stört man sie, indem man sie berührt, hangelt sie sich lieber an ihren Fäden davon. Und wenn auch das nicht funktioniert, seilt sie sich ab. Ich selbst habe Nephilas bereits als Haustiere im eigenen Wintergarten gehalten und kann die friedliche Natur dieser Tiere bestätigen.
Wozu dient also die kontrastreiche Färbung? Zur Tarnung! Nephilas haben nämlich selber Fressfeinde in Form von Echsen, großen Fröschen und Vögeln… beides Räuber, die bei der Jagd auf ihre Augen angewiesen sind. Das Muster des Abdomens und die kontrastreich geringelten Beine „zerstören“ die Konturen der Spinne und lassen ihre Gestalt mit dem Lichtspiel des Dschungels verschwimmen.

Nephila clavipes
Nephila clavipes in ihrem Radnetz. Foto: Andreas Delp.

Dass sich Vögel und Fledermäuse regelmäßig in den Netzen der Nephila verfangen und gefressen werden, ist zwar nicht ganz unrichtig, darf aber grundsätzlich als anekdotische Übertreibung gewertet werden. Zwar gibt es entsprechende Beweisfotos, doch handelt es sich hier um (für die Fledermäuse und Vögel) unglückliche Ausnahmen. Unser Guide hier in Costa Rica berichtet uns, dass Kolibris zwar regelmäßig durch die Netze fliegen, diese dabei jedoch zerstören. Ungeschoren kommen die putzigen Brummer freilich nicht davon, denn die klebrige Spinnenseide bleibt an den Flügeln der Kolibris hängen und lähmt ihren Flug. Sie landen dann, klägliche Alarmrufe ausstoßend, flugunfähig am Waldboden, wo sie schnell Opfer von anderen Raubtieren werden können. Die überwiegende Hauptnahrung der Nephila stellen nachweislich Fluginsekten dar. Ich selbst fand in den Netzen immer nur Falter, Zikaden und Heuschrecken.

Ein Korn Wahrheit in sich trägt die Behauptung, indigene Völker des Südpazifiks würden die Netze in einen Bambusrahmen eingespannt als Kescher zum Fischen verwenden. Diesen genauen Vorgang konnte ich in meiner Recherche nicht nachvollziehen, bestätigen kann ich jedoch, dass Fischer auf Neu Guinea und Vanatu aus den Netzen haltbare Angelleinen drehen. Dass man dafür sehr viele Netze benötigt, versteht sich von selbst.

Dies ist auch der Grund, warum sich die industrielle Nutzung der Spinnenseide bisher nicht durchgesetzt hat. Zwar sind die Fäden, die zu 100% aus Protein bestehen, um ein Vielfaches reißfester und dehnbarer als Stahl, doch taugt das komplizierte Melken einer nicht für die Massentierhaltung geeigneten, weil kannibalischen Tierart maximal als Produktionstechnik für geringe Mengen Analysematerials. Der Einbau eines Nephila-Genoms in das von Ziegen führte zwar dazu, dass diese das entsprechende Protein mit ihrer Milch produzierten, doch auch hier waren die Mengen nicht der Rede wert und das in den Zehner-Jahren gegründete kanadische Projekt wurde zugunsten transgener Seidenraupen eingestellt. Inzwischen sind jedoch gentechnisch veränderte E.-coli-Bakterien der letzte Schrei, und hier ist Deutschland mit einem Projekt an der Universität Bayreuth führend. Noch kommen entsprechende Produkte nicht richtig in Gang, denn eine inzwischen vorgezeigte Schusssichere Weste kostet um die 13.000 €, aber man sollte die Sache im Auge behalten.


Weiterführende Links

Tolle Idee! Was wurde daraus? Künstliche Spinnenseide

Video: How to find wold spiders at night

Interessante Übersicht über die Wanderspinnen Costa Ricas auf Minibeast Wildife – Reainforest Encounters

Für Fortgeschrittene: World Spider Catalog

Fachartikel: Effects of tityustoxin on cerebral inflammatory response in young rats

 

 

Leave a Comment

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.