Vom Wesen des tetrachromatischen Sehens
Pixie schaut aus dem Fenster und knurrt die Schwalben an. Wer jetzt an einen Hund oder eine Katze denkt, liegt falsch, denn Pixie hat einen Schnabel, Flügel und pro Bein zwei einander opponierende Zehenpaare. Pixie ist ein Papagei, genau genommen: Mein Papagei. Und soeben wird sie von Puck, ihrem Partner, zur Seite geschubst, der ebenfalls die Leipziger Schwalben anpöbeln will. Die beiden haben, wie alle Vögel, ausgezeichnete Augen und registrieren mit großer Aufmerksamkeit auch die allerkleinsten Bewegungen auf der Straße.
Während ich die beiden beobachte, fällt mir eine Rätselfrage für euch, liebe Leser, ein: Was haben böse Aliens, ein Papagei, ein Goldfisch, ein Fangschreckenkrebs und eine Orchideenbiene gemeinsam? Antwort: Sie haben Zugang zu einer uns unbekannten Farbwelt!
Von Aliens zu Bienen
Die Idee, Sinneseindrücke wahrnehmen zu können, die unseren naturgegebenen Rezeptoren sonst verborgen sind, fasziniert die Menschheit schon lange: Einmal die Fernsicht eines Falken besitzen, einmal riechen können wie ein Hund! Oder wie wäre es damit eine Farbe sehen zu können, von der wir keine rechte Vorstellung haben, weil sie außerhalb unserer Wahrnehmung liegt?
Als Fan klassischer Schauernovellen liegen mir seit jeher die bedrohlichen Visionen des H. P. Lovecraft am Herzen. Einen bleibenden Eindruck hinterließ bei mir seine Kurzgeschichte „Die Farbe aus dem All“ aus dem Jahr 1927. In seinem typisch ausschweifenden Stil erzählt der Autor aus der Ich-Perspektive die Erlebnisse eines Landvermessers aus Boston, der auf eine verwahrloste Farm stößt. Im Laufe seiner privaten Ermittlungen stellt sich heraus, dass der Niedergang eines Meteoriten eine außerirdische Wesenheit auf die Farm brache, deren Hauptmerkmal (neben dem Bringen von Tod und Verderben versteht sich) zu sein scheint, in einer auf der Erde unbekannten Farbe zu leuchten. Die Passagen, in denen sich Lovecraft der Herausforderung stellt, den Anblick einer Farbe zu beschreiben, für die es kein Äquivalent gibt, sind nicht nur von besonderer literarischer Qualität, sie bringen den Leser auch an die Grenzen seiner Vorstellungskraft. Auch die Figuren der Geschichte stehen (typisch Lovecraft) an der Grenze zum Wahnsinn, wenn sie versuchen, die fremdartige „Farbe aus dem All“ zu beschreiben.
Und doch sind intellektuelle Dissonanzen dieser Art Alltag für Wissenschaftler, die sich mit den Sinnesfähigkeiten von Tieren auseinander setzen müssen… und dazu muss man nicht einmal auf Meteoriten aus dem All warten. Schon der Zoologe und Verhaltensforscher Karl Frisch konnte (über ein Jahrzehnt vor Lovecrafts Kurzgeschichte) nachweisen, dass es Tiere gibt, die andere Farben sehen als wir.
Wir erkunden und bloggen aus Leidenschaft!
Gut recherchierte Artikel kosten viel Arbeit, Zeit und Geld. Wenn euch diese Arbeit gefällt, helft uns mit einer Paypal-Spende dabei, unsere Arbeit fortzuführen und auszubauen. Oder uns zumindest mit ausreichend Kaffee zu versorgen. 😉
Was sind Farben eigentlich? Versuch einer möglichst kurzen Erklärung.
Doch bevor wir hier ins Detail gehen, sollten wir erst einmal klären, was Farbe überhaupt ist, denn wir reden hier nicht von Farben als Gegenstand oder Handwerksmittel („Wandfarbe“) sondern vom abstrakten Begriff, also Farbe als Wahrnehmung und Kategorie.
Als Farbe wird ein Sinneseindruck bezeichnet, der von Auge und Gehirn in gemeinschaftlicher Arbeit erzeugt und verarbeitet wird. Als Grundlage für diesen Sinneseindruck, also das, was wahrgenommen wird, gelten elektromagnetische Strahlen, wie sie z.B. die Sonne erzeugt. Diese Strahlung nennt man Licht, und Lichterzeuger senden diese Strahlungen auf verschiedenen Wellenlängen aus. Diese Wellenlängen wiederum werden zusammengenommen als Spektrum bezeichnet, und das macht aus den voneinander unterscheidbaren Wellenlängen die Spektralfarben. Die Wellenlängen werden im Nanometerbereich gemessen und jede Spektralfarbe ist einem bestimmten Frequenzbereich zugeordnet: Blautöne liegen bei +- 470 nm, Grüntone bei +- 540 nm usw.
Wen das ganze Geschreibsel von Frequenzbereichen an das eigene Autoradio erinnert, liegt goldrichtig: Auch Radiowellen sind elektromagnetische Strahlung, nur eben in einem sehr hohen Frequenzbereich außerhalb unserer direkten Sinneswahrnehmung.
Die Spektralfarben kann man direkt betrachten, z.B. indem man das Sonnenlicht durch ein Prisma bricht oder auf einen einzelnen Pixel des Monitors starrt; in diesem Fall spricht man von Lichtfarben. Oder man betrachtet einen Körper, dessen Oberfläche Teile des weißen Lichtes herausfiltert und somit nur bestimmte Anteile übrig lässt, die wir dann mit unseren Augen wahrnehmen können: Betrachten wir z.B. Gras, dann hat die Oberfläche jedes Grashalms alle Lichtfarben außer Grün absorbiert. Das Grün wird vom Gras reflektiert und ist letztendlich das Licht, dass uns der Grashalm übrig lässt, um ihn betrachten zu können. In diesem Fall sprechen wir von Körperfarben, und genau diese Körperfarben sind es normalerweise, die unsere optische Umwelt bestimmen: Jeder Gegenstand um uns herum filtert und reflektiert Licht auf andere Weise und kommt auf diese Art zu seiner individuellen Farbe.
Farben: Tatsache oder Konvention?
Es gibt Philosophen, die darauf bestehen, dass die Äquivalenz zwischen unserem Farbverständnis und den Frequenzen elektromagnetischer Strahlung zwar interessant, aber erkenntnistheoretisch irrelevant sei. Nach der Meinung manch radikaler Konstruktivisten ist „Rot“ lediglich eine willkürliche Konvention, auf die sich Menschen mittels ihrer Sozialisation einigen. Das mag zwar auf sprachlicher Ebene stimmen, denn wie man das Kind nennt, ist tatsächlich egal (Anmerkung: Manche Linguisten widersprechen auch in diesem Punkt: https://de.wikipedia.org/wiki/Farblexem). Dass sich jedoch nahezu alle Menschen, ungeachtet ihrer Herkunft und Erziehung, während einer Begegnung quasi sofort und über alle Kulturbarrieren hinweg auf ein gemeinsames „Alltagsrot“ einigen können, hat Gründe, die nicht nur in der Biophysik, sondern auch in der Evolution der Tiere zu suchen sind. Es ist nämlich von Vorteil, Lichtfrequenzen zu unterscheiden und eine gemeinsame Vorstellung von ihnen zu haben.
Warum Farbensehen nützlich ist
Die Frage klingt erst einmal banal („Na, damit ich bei Rot nicht überfahren werde!“), ist sie aber nicht.
„Primitive“ Lebewesen mit sehr einfachen Punktaugen wie Würmer und Schnecken können Farben überhaupt nicht unterscheiden, sondern nehmen lediglich über lichtempfindliche Zellen Hell- und Dunkelunterschiede wahr. Das gleiche gilt für bestimmte Einzeller, Stachelhäuter und eine ganze Menge weiterer Tiere. Und das macht absolut Sinn, denn für diese Tiere sind Farben schlicht irrelevant. Um in ihrer jeweiligen ökologischen Nische zu überleben, ist es völlig ausreichend, den Tag von der Nacht zu unterscheiden und vielleicht noch zu erkennen, wo der dunkle Boden und wo die helle Wasseroberfläche oder der Himmel sind.
Tiere, die aktiv „nach Sicht“ jagen (z.B. Raubkatzen), die Pflanzen oder Kadaver über weite Strecken hinweg erspähen müssen (z.B. kreisende Geier) oder die sich mithilfe von Signalfarben verständigen (z.B. der Pfau), haben unterschiedliche Sehfähigkeiten, die an die jeweilige Lebensweise angepasst sind. Evolution ist ein selektiver Prozess, der die Eigenschaft hat, das zu fördern, was nutzt und langfristig auslaufen zu lassen, was nicht nutzt. Was ein Tier sehen kann, ist also abhängig davon, was es sehen muss, um zu überleben, bis es sich fortgepflanzt hat.
Mehr noch: Es ist für Tiere nicht nur relevant, was sie sehen, sondern auch, ob und wie sie gesehen werden. Färbungen des Körpers erfüllen für Tiere meist zwei Zwecke: Sie dienen der Tarnung gegenüber Fressfeinden und der Beute oder aber dem genauen Gegenteil: dem Sichtbarwerden und der Kommunikation. Diese Kommunikation kann gegenüber den eigenen Artgenossen stattfinden, z.B. durch Displayverhalten mit Aussagen wie „Hier bin ich, komm zu mir“, oder aber zur Abschreckung von Fressfeinden nach dem Motto: „Erkennst du mich? Ich bin giftig und kann dich mit einem Stich töten!“ Damit eine solche Signalfärbung gesehen wird, muss der Empfänger der Farbbotschaft jedoch in der Lage sein, die Farbe überhaupt zu sehen, und hier wird es spannend!
Farben sehen im Detail
Augen sind bei allen höheren Tieren eine sehr komplexe Angelegenheit und ein Meisterwerk der Evolution. Der Grundbauplan der Linsenaugen von Wirbeltieren, aber auch der Kopffüßer, sieht so aus, dass das Licht durch eine Blende (die Pupille) fällt, wo sie von einer Linse gebündelt und dann durch einen galertartigen Glaskörper auf eine Netzhaut geworfen wird, wo dann die eigentliche Reizaufnahme stattfindet. Damit unser Gehirn „sehen“ kann was das Auge einfängt, müssen die Lichtwellen in elektrische Impulse des Nervensystems umcodiert werden. Dies geschieht durch die Sehzellen, von denen es zwei grundsätzliche Sorten gibt: Stäbchen und Zapfen, beides speziell angepasste Nervenzellen. Stäbchen dienen dem Hell-Dunkel-Sehen (insbesondere bei Nacht) und haben mit der Farbwahrnehmung nichts zu tun… dafür sind die Zapfen da. Zapfen fangen als Fotorezeptoren das Licht ein und wandeln es in ein neuronale Signale um, die vom Sehnerv an das Hirn weitergeleitet werden.
Nun kommt der entscheidene Fakt: Von diesen Zapfen besitzt der Mensch und eine Anzahl anderer Säugetiere dreierlei: rotempfindlichen L-Zapfen, grünempfindlichen M-Zapfen und die blauempfindlichen S-Zapfen. Jede Sorte Zapfen absorbiert einen anderen Farbbereich innerhalb des Sehspektrums. Der Prefix der Zapfenbezeichnungen steht jeweils für „Long“, „Middle“ und „Short“, was direkten Bezug auf die Wellenlängen des Lichtes nimmt: Rot ist langwelliger als Grün, Grün wiederum ist langwelliger als Blau.
Unser Farbspektrum setzt sich also aus drei Grundfarben zusammen, aus denen alle anderen Farben gebildet werden! Je nachdem, ob wir es mit Licht- oder Körperfarben zu tun haben, erfolgt die Erzeugung von Mischfarben additiv oder subtraktiv… wobei ich an dieser Stelle nicht zu tief in die Farbenlehre einsteigen möchte.
Wichtig ist für uns: Das menschliche Sehvermögen kennt drei Grundfarben und wird deshalb als trichromatisch (griechisch: tri- „dreifach“ und chroma „Farbe“) bezeichnet. Damit stehen wir innerhalb der Säugetiere vergleichsweise gut da, denn viele unserer Vettern, z.B. Rehe, Hunde, Katzen, Nagetiere und Rinder sind dichromatisch (griechisch: di „zweifach“) und sehen nur zwei Grundfarben. Aber (wie in fast allen Bereichen) gibt es auch Tiere, die uns Primaten in diesem Punkt überflügeln.
Immer einer mehr als du
Nicht wenige Tiere nämlich haben während der Evolution einen weiteren Sehzapfen entwickelt, sie sehen tetrachromatisch (griechisch: tetra „vierfach“). Tetrachromaten verfügen über einen Zapfen, der Licht absorbiert, das noch kurzwelliger als das kurzwelligste von uns wahrnehmbare Violett ist. Die Rede ist von Ultraviolett, und deshalb spricht man bei den entsprechenden Sehzellen von den UV-Zapfen. Nun darf man sich von der Bezeichnung nicht täuschen lassen und sich Ultraviolett als eine Art „Lila, nur für uns unsichtbar“ vorstellen, sondern es handelt sich tatsächlich um eine Farbwahrnehmung, die -aufgrund der eigens dafür vorhandenen Sehzellen- für das betreffende Tier völlig für sich steht.
Mehr noch: Da es sich um eine Grundfarbe handelt, verfügt die Farbwahrnehmung betreffender Tiere auch über eine sehr große Palette Mischfarben aus UV und den drei anderen Grundfarben. Diese Tiere sehen also nicht einfach „eine Farbe mehr als wir“, sondern haben Zugriff auf eine komplett neue Dimension aus Farben. Um sich das vorzustellen, denke man sich einige der subtraktiven Mischfarben, die uns zugänglich sind: Gelb besteht aus Grün und Rot. Erhöht man den Rotanteil, erhält man Orange. Blau und Grün mischt sich zu Türkis, bzw. Cyan, Grün und Gelb wird zu Lindgrün usw.
Im nächsten Schritt stelle man sich solche Farbmischungen mit der uns unbekannten Farbe UV vor. Plötzlich lassen sich alle uns bekannten Farbmischungen um einen weiteren Faktor multiplizieren! Wahrlich eine neue Welt, die uns Menschen nur indirekt, durch die Kraft der Wissenschaft zugänglich ist.
Farbblitze in der Tiefe
Der Nutzen des UV-Sehens für ein Tier hängt sehr mit der Lebensweise und dem Lebensraum zusammen. Insbesondere für Meeresbewohner ist die Frage nach dem „wozu“ mit einer verblüffenden Antwort verbunden. So sind z.B. alle Fische grundsätzlich mit Tetrachromasie (so das korrekte Substantiv) gesegnet. Sporttaucher kommen sicher schnell darauf, warum dem so ist! Wasser absorbiert Lichtwellen und zwar in der Reihenfolge ihrer Wellenlänge: Direkt unterhalb der Wasseroberfläche sieht das Korallenriff noch schreiend bunt aus… aber schon ein paar Meter tiefer beginnt das langwellige Rot des Sonnenlichtes zu verblassen. Ab 15 Meter verschwinden orangene Töne, ab 30 Meter alles Gelb und bei 50 Meter Tiefe (in der sich immer noch einige Techdive-Freaks wohlfühlen) ist auch jedes Grün verschwunden. Den menschlichen Taucher umgibt ein dumpfes Blau in diversen Hell-Dunkel-Schattierungen.
Fische jedoch, mit ihren zusätzlichen UV-Zapfen ausgerüstet, sehen im Gegensatz zu uns in dieser Tiefe noch zwei Grundfarben: Blau und UV, und dies in all ihren Mischverhältnissen. Sie sehen in der gleichen Tiefe also mehr als wir. Der Vorteil für die Fische liegt sowohl in der Jagd als auch in der Kommunikation.
Taxonomen schätzen die Anzahl der Fischarten auf um die 35.000. Viele davon sehen sich sehr ähnlich, insbesondere im dämmrigen Licht der mittleren Zonen. Damit sich Angehörige einzelner Arten trotzdem erkennen, sich Sexualpartner finden oder ihrem Revierkonkurrenten aus dem Weg gehen können, benötigen die Tiere optische Kommunikationsfähigkeiten, die auch in dieser Tiefe noch funktionieren. Der zusätzliche UV-Kanal macht das möglich. Tatsächlich haben viele Fische ein UV-reflektierendes Signalfarbenmuster auf ihrer Haut, das wir Menschen nicht sehen können. So können zwei Fischarten, die nahezu identisch wirken, für das Fischauge komplett unterschiedlich aussehen. Es gibt sogar Studien, die nahelegen, dass Fische aufgrund der UV-reflektierenden Muster Individuen der eigenen Art auseinanderhalten können.
Auch das Jagdverhalten der Fische wird durch die UV-Sicht beeinflusst. Beutefische, die für uns Taucher kaum erkennbar sind, leuchten in der Wahrnehmung von Räubern als helle UV-Ziele vor dem Hintergrund auf. Sowohl Hobbyangler als auch die Fischereiindustrie haben diese Erkenntnis längst für ihre Zwecke umgesetzt und produzieren z.B. UV-reflektierende Blinker.
Von Bienchen und Blümchen
Aber man muss gar nicht in die Tiefen des Ozeans abtauchen, um Tetrachromaten zu finden, sie surren bei uns über jede Wiese. Bienen haben ebenfalls zusätzliche UV-Zapfen und sehen die Welt mit anderen Augen. Habt ihr euch schonmal gefragt, wie Bienen die vielen, sich ziemlich ähnlich sehenden, weißen, blauen oder gelben Blüten diverser Pflanzen auseinanderhalten können und dabei (innerhalb einer Farbgruppe) bestimmte Gewächse bevorzugen? Ihr ahnt es sicher bereits: Unter UV-Licht sehen all diese Blüten noch einmal ganz anders aus.
Zwei für uns gleichfarbig wirkende Blumen können für eine Biene völlig unterschiedlich aussehen, je nachdem, wie viel UV sie reflektieren. Auch dies ist letztendlich eine Form der Kommunikation: Ist eine Pflanze auf die Bestäubung durch Bienen angewiesen, wird sie einen vergleichsweise hohen UV-Anteil reflektieren. Ist sie eher auf geruchsorientierte Insekten zur Bestäubung spezialisiert, wird sie einen betörenden Duft verströmen. Pflanzen, die beide Insektengruppen anlocken wollen, verwenden auch beide Signaltechniken.
Vögel sind NOCH bunter als wir denken!
Mit dem dritten Beispiel aus dem Tierreich schließt sich der Kreis, denn wir kommen zurück zu Puck und Pixie, die nun nicht mehr am Fensterbrett hocken, sondern soeben versuchen, mein Handy zu zernagen. Auch Vögel besitzen UV-Zapfen auf ihrer Netzhaut. Ebenso wie bei den Fischen dient die Fähigkeit sowohl der Nahrungsaufnahme als auch der Kommunikation und ist eng verknüpft mit der UV-Reflexion von Nahrung und Artgenossen.
Am Beispiel unserer Rostkappenpapageien lässt sich das gut nachvollziehen. Papageien der Spezies Pionites leucogaster sind, wie alle Vögel der Ordnung Psittaciformes (Papageienvögel) überwiegend Vegetarier und ernähren sich von Früchten, Samen, Blättern und Blüten. Sie bewohnen die Regenwälder Südamerikas, insbesondere der Brasiliens, ein Lebensraum also, der sich durch seine Unübersichtlichkeit einerseits und seine Gleichförmigkeit andererseits auszeichnet. Es ist gar nicht so einfach im Dschungel zwischen all den hunderten von Pflanzenarten genau die zu finden, deren Früchte genießbar sind… wie praktisch, dass nicht wenige der besonders nahrhaften Blüten und Früchte in einem satten UV leuchten und dadurch für einen hungrigen Papagei mit der entsprechenden Sehfähigkeit im Gestrüpp glühen wie Kerzen an einem Weihnachtsbaum.
Rostkappenpapageien sind sehr hübsch gefärbt: Der Bauch ist weiß, der Kopf und die Schenkel sind Gelb-Orange und die Flügeldecken sowie der Schwanz zeigen ein sattes Grün. Was auf den Laien, der die Tiere nur aus dem Zoo kennt, furchtbar auffällig wirkt, ist im lichtdurchfluteten Kronendach des Regenwaldes mit seinen krassen Kontrasten und dem Spiel verschiedenster Grün- und Gelbtöne eine ausgezeichnete Tarnung (Memo an mich selbst: Einen Blogartikel über Counter-Shading schreiben!). Sitzen diese Papageien im Baumkronendach, verschwinden sie regelrecht. Diese Tarnung funktioniert insbesondere dann, wenn potenzielle Fressfeinde wie Schlangen und Raubkatzen lediglich tri- oder gar bichromatisch Farben wahrnehmen.
Ganz anders hingegen verhält sich das für Artgenossen: Rostkappenpapageien können nicht nur tetrachromatisch sehen, bestimmte Teile ihres Gefieders reflektieren UV-Strahlung auch besonders stark, was die Tiere füreinander sehr auffällig macht. Der auf obskure optische Naturphänomene spezialisierte Fotograf Andrew Davidhazy hat diese Vögel mit einer im UV-Spektrum empfindlichen Kamera fotografiert und damit gezeigt, dass sie nicht nur leicht fluoreszieren, sondern dass insbesondere die Haut um die Augen herum sowie der weiße Bauch im UV-Spektrum regelrecht leuchten.
Man darf spekulieren, dass diese Eigenschaften den hochgradig sozialen Tieren, welche in kleinen Familienverbänden leben, dabei helfen, sich bei ihren Streifzügen im Regenwald sprichwörtlich nicht aus den Augen zu verlieren. Auch bei der Partnersuche und der Revierverteidigung dürfte das UV-Leuchten dieser Papageien von Vorteil sein. Für einen Rostkappenpapagei glühen die hellen Bäuche anderer Artgenossen wie Signalfeuer durch das Blätterdach.
Vor allem hat es mir aber der Augenring meiner Papageien angetan. Dabei haben die Tiere im normalen Lichtspektrum eine unauffällige, rosafarbene Augenhaut, die mit den dunklen Knopfaugen nur mäßig kontrastiert. Im UV-Spektrum jedoch wird aus dem Papageienblick ein kontrastreiches, auffälliges Starren. Wer Papageien kennt und weiß, wie intelligent und ausdrucksstark diese Tiere sind und wie sie sich bereits durch Blickkontakt miteinander verständigen, wird einsehen, dass eine durch das UV-Muster verstärkte Fernwirkung des Vogelgesichtes sicher nicht von Nachteil ist.
Zusammengefasst kann man sagen, dass Tetrachromasie meinen Papageien von der Evolution in die Wiege gelegt wurde, weil sie eine wunderbare Anpassung an das Leben im Regenwald darstellt.
Die verborgene Welt
Ja, das war ein vergleichsweise anspruchsvoller Artikel für dieses Blog und ich hoffe, Ihr konntet und wolltet uns bis hierhin folgen. Esoteriker und Verschwörungstheoretiker faseln gerne von einer Realität jenseits unserer Wahrnehmung und glauben, diese zu kennen. Semantisch gesehen haben diese Leute tatsächlich recht, nur sieht die Sache (im wahrsten Sinne der Formulierung) ganz anders aus, als sie sich das vorstellen. Das Licht der Sonne überflutet uns mit einem riesigen elektromagnetischen Spektrum, von dem wir nur einen Bruchteil mit unseren von der Evolution erzeugten Sinnesfähigkeiten wahrnehmen können. Muss man sich diese geheimnisvolle Realität keineswegs zusammen phantasieren, sie liegt offen vor uns und ist für viele (andere) Tiere alltägliche Normalität. Die Wissenschaft kann uns dabei helfen, solche Sinneswahrnehmungen zumindest intellektuell nachzuvollziehen und regt uns zum Nachdenken darüber an, was „Sehen“ eigentlich ist.
Das nächste Mal, wenn ihr also draußen in der Natur einen Vogel beobachtet, probiert folgendes Gedankenexperiment: Versucht euch, die tetrachromatische Weltsicht dieses Vogels vorzustellen und dann fragt euch, welche evolutionären Vorteile speziell diese Art eventuell von ihrer erweiterten Sinneskraft haben könnte…. spannend, oder?
Links zur weiterführenden Recherche:
Grundsätzliches zur Farbwahrnehmung
Fledermäuse fliegen mit UV-Augen durch den Regenwald
Studie: Über die UV-Wahrnehmung von Tieren
Blaumeisen wählen ihre Partner auch aufgrund ihres UV-Musters
Auch Guppys selektieren ihre Party nach UV-Kriterien
Externe Bildquellen:
Verschaltungsplan der Zapfen, M.felden, Wikipedia, Lizenz https://creativecommons.org/licenses/by/2.5/deed.en
Wellengrafik der Tetrachromasie: L. Shyamal, wikipedia, Lizenz https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/
UV-Aufnahme Pomacentrus amboinensis: Ulrike Siebeck/University of Queensland
UV-Aufnahme Rostkappenpapagei: Prof. Andrew Davidhazy, Lizenz: https://creativecommons.org/publicdomain/mark/1.0/
UV-Aufnahme Schwarzäugige Rudbeckie: Prof. Andrew Davidhazy, Lizenz: https://creativecommons.org/publicdomain/mark/1.0/
UV-Licht ist uns bekannt als UV-A, UV-B und UV-C. Es wirkt auf die Pigmente unserer Haut. Dann kennt man das Schwarzlicht aus der Disko mit erhöhtem UV-Anteil. Für den Menschen ist UV-Licht auch wichtig, da es die Vitamin-D Produktion in der Haut anregt.
Leider können wir uns nur Farben vorstellen, die wir sehen können. Das gilt vielleicht nicht nur für Farben, sondern überhaupt für die Vorstellungskraft.
Eine interessante Frage? Können Menschen, die schon blind zur Welt gekommen sind, sich Farben vorstellen? Nein!
Gruß Thomas