Gras knistert trocken unter unseren Füßen. Der Dürresommer 2018 hat auch hier seine staubigen Spuren hinterlassen. Wir stehen in einer fremdartigen Landschaft, die keiner vermutet hätte, so gut hat sie sich hinter den grünen Wiesen und Weinberghängen Freyburgs und Naumburgs in Sachsen-Anhalt verborgen. Soweit das Auge reicht erblickt es kurz gewachsenes Gras, unterbrochen von kleinen Inseln karger Büsche und blühenden Disteln. Wir sind in den Toten Tälern und haben uns ordentlich Wasser eingepackt, denn vom letzten Ausflug in diese Gegend haben wir schon gelernt, dass ein Liter zu viel kein wirklich falscher Gedanke ist.
Dieser erste Ausflug trieb uns nach einigen Stunden ausgedörrt in ein winziges und sehr verlassenes Dorf. Vielleicht wären „Steppenläufer“ über die leere Straße gerollt, nur gibt es Kali tragus, das „Ruthenische Salzkraut“, bei uns nicht. Bei dem was über diese invasive und äußerst resistente Neoflora so zu lesen ist, lässt sich da auch von Glück reden. Das Dorf war also sehr verlassen, wir fühlten uns ebenso und wir hatten Durst, verdammten Scheißdurst. Unsere Literflaschen waren schon seit Stunden leer, es war heiß und die Sonne brannte unerbittlich. Unerwartet zeigte sich dann doch ein Bewohner und wir wären sicher auch auf unseren staubigen Knien gerutscht, aber das war nicht nötig. Mit neu gefüllten Wasserflaschen, einer Erfahrung mehr sowie ein paar Kratzern im Stolz schlugen wir uns zurück in die Wildnis.
Dieses Mal also mit sehr viel Wasser. Und wir haben Verstärkung, denn Tobs und Franzi begleiten uns mit einer richtig guten Kamera und genauso viel Neugier wie wir.
Die Vermutung liegt nahe, aber die Toten Täler haben ihren Namen nicht aufgrund des trockenen Klimas. Der Sage nach haben dort um 933 n.u.Z. sich Menschen gegenseitig das Leben schwer gemacht, was bekanntermaßen zu einer Menge Toten führt. Möglicherweise gehen hier auch heute noch Gespenster um, aber wir sehen keine, denn es ist zu hell und sonnig für Spukgestalten. Wir sind hier weil die Toten Täler ein auf Muschelkalk ruhendes Naturschutzgebiet mit einer einzigartigen und sehr orchideenreichen Flora ist. Hier sind Pionier-, Trocken- und Halbtrockenrasen zu finden, sowie Kalkschutthalden und thermophile Wälder und damit auch viele Tierarten, die genau diese Lebensbedingungen brauchen.
Die Erwartungen sind dementsprechend groß. Und tatsächlich haben wir Glück, denn wir begegnen recht bald der freilebenden Konik-Herde. Koniks sind eine sehr robuste Wildpferd-Art, die ursprünglich aus Polen stammt und mittlerweile in Deutschland auch mit der letzten ursprünglichen Unterart freilebender Wildpferde, dem Przewalski-Pferd (Equus ferus przewalskii) erfolgreich gekreuzt wurde. Die Aufgabe der Wildpferde hier in den Toten Tälern ist, der Verbuschung des Naturschutzgebietes etwas entgegenzusetzen. Da das Gebiet mit 827 Hektar gute Ausweichmöglichkeiten bietet, ist es nicht selbstverständlich die Tiere anzutreffen. Wir lassen uns in einiger Distanz nieder und nutzen die Möglichkeit zur ausführlichen Betrachtung. Ein freches Fohlen widersetzt sich der Naturschutz-Anordnung, die dazu rät auf 30 Meter Entfernung zu bleiben, und kommt neugierig näher. Wir haben Respekt vor den misstrauischen Elterntieren und ziehen uns diskret zurück.
Viele Schmetterlinge sind hier zu sehen. Wir sichten Bläulinge, jede Menge Widderchen, den kleinen Perlmuttfalter und sogar einen Segelfalter (Iphiclides podalirius). Fotografieren ist schwierig und erfordert eine Menge Geduld – Lepidoptera sind ein risikoscheues und recht flatterhaftes Volk.
Da fällt die Aufnahme des Pärchens Seidiger Fallkäfer (Cryptocephalus sericeus) deutlich leichter. Nachdem sich die Krabbler, ihrem Namen entsprechend von der Blüte zu Boden haben fallen lassen, was sie bei Gefahr grundsätzlich tun, sind sie viel zu beschäftigt um fortzulaufen. Gelegenheit macht Liebe – und Liebe eine schöne Aufnahme.
Im Steinbruch bewundern wir nicht nur den schönen Aufschluss. Hier zeigt sich schnell wie viel Leben selbst auf diesem kargen Flecken unterwegs ist. Mit jedem Schritt springen und fliegen Blauflügelige Ödlandschrecken (Oedipoda caerulescens) davon. Landen sie, sind sie augenblicklich verschwunden. Ihre Tarnung funktioniert so gut, dass wir uns zu dem Spiel verleiten lassen, wenigstens eine einzufangen um sie aus der Nähe betrachten zu können. Dies ist schwerer als gedacht, denn nicht nur die Tarnung der teils grauen, teils braunen Hüpfer ist ausgesprochen gut. Sie haben auch eine enorme Ausdauer und kommen mit ihrem Hüpf-Gleit-Flug erstaunlich weit. Besäßen sie nicht diese wunderschönen blauen Hinterflügel wären sie überhaupt nicht mehr zu entdecken. Torsten hat ein hervorragendes Suchbild gemacht – finde die Schrecke:
Wie so oft muss man sich Zeit lassen, genau hinschauen und die Dinge auch mal im Detail betrachten. Blickt man den Pflanzen unter das Blatt oder in die Blüte so lässt sich immer wieder Neues finden. In dieser Distel sind Rote Waldameisen mit ihren Läusen tätig. Wir lassen uns also viel Zeit, robben durch den Staub, machen ständig neue Entdeckungen, hin und wieder verlieren wir uns aus den Augen und müssen dann einander auf dem Display zeigen, was wir zuletzt gefunden haben.
Schmutzig und zufrieden wandern wir gegen späten Nachmittag zurück zum Auto. Das Wasser hat gereicht und die Toten Täler haben sich erneut als eine Gegend erwiesen, die es wert ist besucht zu werden. Auch wenn aufgrund der vorherrschenden Dürre vieles nicht zu sehen war was wir gerne entdeckt hätten sind wir nicht enttäuscht worden.
Wir wünschen den Toten Tälern von Herzen mehrere Tage sanften und lebensspendenden Regen und machen uns an die Heimfahrt. Erst im Auto steckt uns Tobs dass er heute Geburtstag hat. Ganz heimlich ist er einfach ein Jahr älter geworden, die Sau! Dafür muss er sich jetzt ein Bier von uns ausgeben lassen. So!