Mikroabenteuer, Naturbeobachtungen und Trekking für Leute mit Schlaubrille
15. August 2020

Klimawandel: Die Welt verbrennt

By In Deutschland, Europa, Lebensräume, Mensch und Natur

Wenn dir die Natur den Mittelfinger zeigt

Wir schreiben das Jahr 2018. Eigentlich sollte hier ein Moor sein. Frösche sollten quaken, Libellen schwirren und in der Ferne Kraniche stolzieren. Stundenlang haben wir im Vorfeld unseres Trips recherchiert, haben NaBu-Artikel gelesen und NSG-Ausweisungen studiert, um ein Gebiet mit möglichst hoher Biodiversität zu finden. Dann fuhren wir 150 Kilometer Autobahn, schulterten die Tagesrucksäcke und das Fernglas… und nun ist das Moor weg. Nein, keine Autobahn wurde darüber asphaltiert und auch keine Mall hingestellt. Nichts derart Plakatives. Und auch das Naturschutzgebiet ist noch da, wie man an den Schildern mit der Eule erkennt… und ja, eigentlich ist es auch ganz hübsch hier.
Nur das Moor ist eben verschwunden, genauer gesagt: Es ist ausgetrocknet. Wo sich früher flache Wasserflächen mit seltenen Moosen und Schilfen abwechselten, wo der Sonnentau gedieh und Wasservögel ein lautes Konzert veranstalteten, gähnt eine quadratkilometergroße Staublichtung wie auf einem eben erst zum Manöver benutzten Truppenübungsplatz, bedeckt mit einer ausgedörrten Schlammkruste. Nachdenklich stehen wir auf dieser ausgedörrten Fläche und ich spüre ein mir bereits bekanntes Grollen, dass sich in den folgenden Monaten in eine ausgewachsene Wut verwandeln wird.

Ausgetrocknetes Presseler Moor im Zadlitz-Bruch (Foto: Torsten Schneyer, 2018)

Denn so, wie es dem Moor im Zadlitzbruch ergangen ist, ergeht es zurzeit einer riesigen Zahl von Naturlandschaften. Deutschland ist zu einem Dörrofen geworden. Mehrere außergewöhnlich heiße Sommer hintereinander, begleitet von sehr wenig Niederschlag, lassen das Grundwasser sinken, Moore vertrocknen,  Wälder verdursten (oder verbrennen) und verwandeln Feuchtgebiete in Trockenrasen. Schon jetzt steht fest, dass auch dieses Jahr wieder ein extrem heißes und trockenes werden wird und die Dürre damit in ihre dritte Runde geht. Wie Wissenschaftler vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung unlängst in einer Studie im Fachblatt Scientific Report veröffentlicht haben, werden die Dürreperioden in Europa weiter zunehmen.

Was uns auf dem Herzen liegt

Wir sind traurig und wütend. Dieser Artikel ist anders als die anderen, denn er ist emotionaler als die anderen und hat ein Statement. Natürlich sind all unsere Artikel auf NidW auf einer gewissen Ebene gefühlsgetrieben, denn wir lieben die Natur. Wir lieben Berge und Täler, Meere, Wälder und Steppen; und ganz besonders lieben wir Pflanzen und Tiere. Wir lieben es, draußen zu sein und die vielfältigen und komplexen Ökosysteme, ganz ohne die sonst so verbreitete esoterische Romantisierung, auf unseren kleinen und großen Trips, hautnah zu erleben und zu studieren. Auch sind wir große Fans der Naturwissenschaften. Insbesondere die Grundlagenforschung, die sich über die vielfältigsten Disziplinen wie Ökologie, Zoologie, Geologie oder Klimatologie, mit unserer Ökosphäre befassen, haben für uns (auch ohne akademischen Hintergrund) einen hohen persönlichen Stellenwert.
Umso mehr frustriert es uns als Wanderer, Beobachter und Publizisten, wie der Gegenstand unserer Artikel zerstört, die Wissenschaft marginalisiert wird.

In diesem kleinen Eintopf von Beitrag, zusammen gerührt aus einer guten Portion Essay, einem Prise Rant und einem Schuss Aufruf, möchte ich unsere eigene, sehr persönliche und radikal parteiische Nerds-in-der-Wildnis-Perspektive auf diese Katastrophe schildern und uns damit in den Chor derjenigen einreihen, denen dieser Planet nicht gleichgültig ist.

Nerds in der Wildnis

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Wir sind die Generation des ökologischen Zusammenbruchs

Birte und mich kann man beide in den Topf der „Generation X“ werfen: Kinder der 70er Jahre und der Babyboomer-Generation. Unsere Tapeten hatten braune Streifen, unsere Couch war aus grünem Cord. Unsere Eltern wuchsen in der Zeit des Wirtschaftswunders auf, hatten sichere Jobs und heute haben sie sichere Renten. Weiß, halbwegs gebildet und privilegiert, weil aufgewachsen in einem der sichersten und reichsten Länder der Welt, dem einstigen Westdeutschland, konnten uns die wirtschaftlichen und politischen Umwälzungen der Jahrtausendwende nur mäßig erschüttern. Arm und krisengeschüttelt waren immer die anderen, egal ob in Afrika, Südamerika oder im nahen Osten. Schön für uns, nicht wahr?

Und doch gab es da immer das nagende Gefühl, dass etwas ganz Grundsätzliches nicht stimmt, dass da noch etwas auf uns zukommt. Nein, ich meine nicht den globalen Raubtierkapitalismus oder die weltweit zunehmende Erosion demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen. Das sind zweifelsohne schlimme Probleme (vor denen ich persönlich ebenfalls große Angst habe), die nicht klein zu reden sind. Jedoch gibt es dahinter etwas noch viel Größeres, Fundamentales: Den sich immer weiter beschleunigenden Kollaps der Ökosysteme und den Klimawandel. Im Folgenden möchte ich vor diesem gewaltigen Panorama ein paar bescheidene Beispiele aus unserem persönlichen NidW-Horizont schildern, um diese Monstrosität wenigstens ein bisschen greifbarer zu machen.

Waldbrände auf der ganzen Welt

Es muss im Jahr 2010 auf einer meiner Kroatienreisen gewesen sein, als ich während einer meiner einsamen Wanderungen plötzlich in eine surreale Szenerie geriet. Die Sonne drückte unbarmherzig mit fast 40 Grad Celsius und ich befand mich auf einer ehemals baumbestandenen Halbinsel nahe der Stadt Trogir. „Ehemals“ deshalb, weil der Wald aus duftenden Kiefern, den ich gerade erst betreten hatte, abrupt endete und einer gespenstischen Kulisse Platz machte: schwarz verkohlte Baumstümpfe ragten, soweit das Auge reichte, in den unfassbar blauen Himmel und kontrastierten mit dem rotgelben Sand des karstigen Kalksandsteinbodens. Eine Marslandschaft mit Baumruinen. Über drei Stunden durchwanderte ich dieses tote Gebiet, ohne (sehen wir von ein paar vorüberziehenden Möwen ab) ein lebendes Wesen anzutreffen. Immer die Küste entlang, bis mein Trinkwasser zur Neige ging und es Zeit war, das nächste Dorf aufzusuchen. Diese Eindrücke gehören zu den intensivsten, die ich auf meinen Naturwanderungen gemacht habe. Später sollte ich erfahren, dass dieser Waldbrand erst eine Woche her gewesen war und typisch für die neuen kroatischen Rekordsommer werden sollte.

Klimawandel: De Welt verbrennt
Küstenlandschaft nach einem verheerenden Waldbrand in Kroatien (Foto: Torsten Schneyer, 2010)

Ein einzelner Waldbrand wäre nicht ungewöhnlich, doch haben sie an der Adriaküste in den letzten fünf Jahren rapide zugenommen. Und nicht nur dort: Europas Wälder brennen inzwischen in gruseliger Regelmäßigkeit, und das sogar in Skandinavien. Das sind keine lokalen Phänomene: 2019 war die ganze Nordhalbkugel von einem „Hitzegürtel” umspannt, der zum Jahreswechsel dann in den Süden wanderte. Über die unkontrollierten Rekord-Buschbrände in Australien, die 2019 über 113 Tierarten in ihrem Bestand gefährdet haben und als Sargnagel für viele gefährdete Spezies betrachtet werden müssen, wurde ausgiebig berichtet, bevor dann die Corona-Krise die Aufmerksamkeitshoheit in den Medien übernahm (Einschub, Apropos Corona: Was das Corona-Virus mit dem Verlust von Lebensräumen zu tun hat, ist übrigens auch noch so eine Frage, die in der Politik viel zu wenig gestellt wird!). Und wer hätte mal gedacht, dass in Sibirien eine von bis zu 37° Celsius befeuerte Dürre gigantische Waldflächen brennen lässt, als hätte es die im Winter Schnee-umwehte und im Sommer sumpfige-Taiga nie gegeben?

Tschüss, Biene Maja

Insektensterben. Davon hat jede*r schon einmal gehört und doch haben viele Leute abwehrend reagiert, als Entomologen im Jahr 2017 mit der alarmierenden Nachricht an die Öffentlichkeit traten, dass unser heimischer Bestand an Fluginsekten in den letzten 25 Jahren über 75% zurückgegangen ist. Die vermuteten Ursachen sind vielfältig: Lebensraumverknappung, Biotopzerstörung, die Gifte der intensiven Landwirtschaft und natürlich auch die Klimaerwärmung werden als Ursache angenommen. Die zunehmende Trockenheit in Deutschland macht den Pflanzen zu schaffen, zerstört ganze Wälder und raubt somit den Insekten die Lebensgrundlage. Und dies natürlich nicht nur in Mitteleuropa.
„Was ist an ein paar Krabbeltierchen weniger denn schlimm?”, fragen sich vielleicht einige unter den Leser*innen. „Dann gibt es auch weniger Schädlinge!”. Eben nicht. Zuerst einmal sei daran erinnert, dass Insekten die Grundlage der tierischen Nahrungskette auf dem Land sind. Sterben die Insekten, dann sterben auch zahllose andere Wirbellose (z.B. Spinnen) und dazu noch Vögel, Kleinsäuger, Reptilien und Amphibien. Darüber hinaus gehören ausgerechnet einige der unbeliebtesten Insekten wie z.B. Zecken und Stechmücken zu den Arthropoden, die mit der Dauerhitze und Trockenheit vergleichsweise wenig Probleme haben und sich dabei auch noch fleißig ausbreiten.

Als wir 2019 für eine ausgedehnte Naturbeobachtungsreise in den Regenwald von Costa Rica flogen, fiel uns die starke Trockenheit des Regenwaldes auf. Dass der Niederschlag an der costa-ricanischen Pazifikküste jahreszeitlichen Schwankungen unterliegt, wussten wir natürlich. Aber dass wir mitten in eine Rekorddürre hinein reisen, wurde uns erst dort klar! Inzwischen wissen wir: Seit Jahrzehnten mehren sich auch in unserem Traumreiseziel Costa Rica die extremen Naturereignisse, insbesondere die Trockenzeiten werden immer trockener. Natürlich wollten wir uns nicht nur auf den Augenschein verlassen und außerdem wissen, was das mit der Natur macht. In Puerto Jiménez hatten wir die Gelegenheit, uns mit Experten zu unterhalten, die die Biodiversität der örtlichen Insektenfauna studieren. Jim, Leiter des Insektopia Instituts, wurde sichtlich emotional, als er vom dortigen Insektensterben im vermeintlichen Naturparadies berichtete. Schaut dazu bitte unser Video 10 Fragen an die Insektenforscher.

Klimawandel: Trockenzeit in Costa Rica
Auch der Regenwald ist nicht überall so regnerisch, wie dereinst. Die Trockenzeit im tropischen Pazifik-Regenwald von Costa Rica wird von Jahr zu Jahr, nunja, trockener. (Foto: Torsten Schneyer, 2019)

Abgesang auf die Welt Jacques Cousteaus

Wie man diesem Blog entnehmen kann, sind die nixenhafte Birte und meine semiaquatische Wenigkeit begeisterte Sporttaucher. Wir verreisen leider eher selten (ich weiß, dieses Blog suggeriert etwas anderes… aber schaut mal auf die Daten), doch wann immer es uns möglich ist, schauen wir uns die Welt nicht nur vom Lande, sondern auch zur See an, und zwar unterseeisch, gewissermaßen. Den Schaden zu summieren, den die durchschnittliche Erhöhung der weltweiten Temperaturen im Meer hervorruft, ist quasi unmöglich. Nur ein einziges Beispiel möchte ich herausgreifen:

Das Great Barrier Reef ist, oder besser, war das größte, schönste und üppigste Korallenriff der Erde. Über 2300 Kilometer lang erstreckte sich dieses gewaltige Naturmonument vor der nördlichen Ostküste Australiens. Die Biodiversität umfasste ca. 420 Arten Korallen, ca 1.500 Fischarten, 1.500 Schwammarten, 5.000 Arten von Weichtieren, 800 Arten von Stachelhäutern, 500 verschiedene Arten von Seetang und 215 Vogelarten. Warum ich die Vergangenheitsform benutze? Weil das Riff zwar noch irgendwie existiert, jedoch gerade im Sterben begriffen ist. Die größte von Lebewesen geschaffene Struktur auf diesem Planeten basiert primär auf dem Wachstum von Steinkorallen, und die neigen bei unpassenden Umweltbedingungen, wie z.B. dauerhaft erhöhten Temperaturen, zum Ausbleichen und Absterben. Über ein Drittel (nach manchen Schätzungen sogar die Hälfte) des Riffs ist bereits ausgebleicht und über weite Strecken erstreckt sich eine gruselige Kalkskelettwüste. Die Anzahl der Korallenlarven ist inzwischen um 95% geschrumpft. Ob sich das Riff jemals wieder erholen kann, ist ungewiss. Hier ein Link mit ausführlichen Informationen zur aktuellen Situation des Riffs.

Klimawandel: Korallenbleiche
Links: Gesundes Riff, rechts: Korallensterben. (Fotos: Wikipedia)

Das Anthropozän: eine Schneise der Zerstörung

Die bisher genannten Beispiele sind völlig willkürlich und nur deshalb ausgewählt, weil wir als Autoren diese Situationen selbst erlebt und somit einen persönlichen Bezug haben. So gewaltig und katastrophal sie jeweils wirken mögen, sind sie bloß ein unfassbar winziger Ausschnitt aus dem, was da tatsächlich passiert. Der Begriff Anthropozän ist ein sprachlicher Vorschlag kluger Leute zur Benennung unserer aktuell entstandenen geologischen Epoche, in der der Mensch den größten Einflussfaktor auf diesem Planeten darstellt. Und dieser Einfluss ist erschütternd, in jeder Hinsicht. Um einmal wirklich apokalyptische Töne anzuschlagen, werfe ich noch folgende Dinge in die (längst umgekippte) Waagschale. Folgt mir auf einen schweren Ritt in die Depression:

  • Die tropischen Regenwälder werden weltweit in einer Geschwindigkeit gerodet wie nie zuvor.
  • Die Ausbreitung der Wüstengürtel, die Desertification ehemals grüner Areale, schreitet voran.
  • Dafür breiten sich monotone Agrarflächen immer weiter aus.
  • So gut wie keines der relevanten Länder hält sich wirklich an Klimaabkommen und erreicht die selbst gesteckten Klimaziele… wenn es denn überhaupt welche hat. Vor allem rechts/konservativ regierte Staaten wie die USA oder Brasilien treten die Abkommen sogar mutwillig mit Füßen.
  • Der arktische Eisschild schwindet, die einst mythische Nordwest-Passage ist inzwischen regelmäßig befahrbar. Das südarktische Eis schwindet ebenfalls.
  • Aufgrund der Eisschmelze steigt der Meeresspiegel und die spezifische Dichte des Meerwassers verändert sich. Korallen und andere Meerestiere mögen solch schnelle Änderungen nicht.
  • Weltweit schwinden die Gletscher, Schneepisten können meist nur noch künstlich und mit Schneekanonen erhalten werden.
  • Wir töten weiterhin unsere Geschwister, die Menschenaffen, während Wissenschaftler sie inzwischen ins gleiche Taxon wie den Menschen einordnen.
  • Die Meere sind überfischt und leiden gleichzeitig unter einer nie dagewesenen Verseuchung mit Plastikpartikeln, deren Wirkung auf die Nahrungskette noch gar nicht absehbar ist.
  • Der arktische Permafrost schmilzt und entlässt nicht nur gewaltige Mengen an Treibhausgasen (vor allem Methan), sondern auch bislang ungekannte Krankheitserreger aus seinem Gefängnis.
  • Auch im Meer werden zusehends Methan-Depots freigesetzt und geben ihren Inhalt langfristig in die Atmosphäre ab.
  • Die Meere übersäuern durch die CO2-Anreicherung, was kalkbildende Organismen wie Korallen, Muscheln, Schnecken und Krebstiere weiter schwächt.
  • „Botschafter-Spezies“ wie Elefanten, Tiger und Nashörner, von denen man um die Jahrtausendwende noch dachte, sie seien gerettet, werden wieder massiv bejagt und gehen im Bestand zurück. Es gibt inzwischen mehr Tiger in Gefangenschaft als in Freiheit.
  • Laut einem UN-Bericht von 2019 stehen wir vor einer weltweiten gewaltigen Beschleunigung des Artensterbens mit über einer Millionen gefährdeten Spezies.
  • Deutschland: Fast zwei Dritte aller Naturlandschaften sind in Gefahr, ihre Biodiversität geht stetig zurück.
  • Die allermeisten Deutschen kennen „typisch deutsche“ Tiere wie Feldhamster, Alpensalamander, Auerhahn, Steinbock, Wiedehopf, Gänsegeier, Taschenkrebs oder Gelbbauchunke lediglich aus dem Kinderbuch.
  • Der deutsche Wald besteht zum Großteil aus Baumplantagen zur Holzgewinnung. Diese Monokulturen sind anfälliger gegen Schädlinge wie den Borkenkäfer, der die Schwächung der Bäume durch die Dürre ausnutzt. Folge: Ein neues Waldsterben.

Ich könnte stundenlang so weiter machen. Lebensraumzerstörung, Umweltgifte, Zersiedelung, intensive Landwirtschaft, Überfischung, Wilderei oder ein fehlgeleitetes Jagdwesen nehmen die Natur von anderen Seiten her in die Zange und der Klimawandel ist, im Wortsinne, der Brandbeschleuniger für diese Entwicklung.
Das große Massenaussterben steht nicht bevor, es geschieht bereits. Wir sind die Generation, die in ihrer Jugend Arten gesehen hat, die sie im Alter vermissen wird.

Das, was mich daran so besonders wütend macht ist, dass es schon lange vorhergesagt wurde.

Eine Jugend, begleitet von Kassandrarufen

Wenn heute über den Klimawandel diskutiert wird, dann bekommt man schnell den Eindruck, dass es zwei Sorten von Menschen in diesem Land gibt: Die einen, das sind die akut Mobilisierten, die (vermeintlichen) Panikschieber… also die, welche mit Studien und Graphen wedeln und so wirken, als wäre der Klimawandel früher zwar ein reines Abstraktum gewesen, nun aber wirklich da. Und die anderen, das sind die Ignoranten, die Erkenntnisverweigerer… also diejenigen, die das alles für ausgedacht halten und darauf hinweisen, dass es früher doch auch schon Hitzewellen gegeben habe. Über beide Stimmen kann ich mich nur wundern, denn:

Sowohl der menschengemachte Klimawandel als auch der Zusammenbruch der natürlichen Lebensräume sind eine Realität, die seit den frühen 70er Jahren nahezu jeder Person in diesem Land bekannt ist!
Die erste der beiden oben genannten Personengruppen mag entschuldigt sein, denn es handelt sich oft um jüngere Leute, die zudem erst kürzlich für das Thema sensibilisiert wurden… Mal davon abgesehen, dass (man muss es wirklich so sarkastisch formulieren) Panik in der aktuellen Situation immer noch besser ist, als GAR kein Problembewusstsein.
Die Haltung der zweiten geschilderten Gruppe, der Altersignoranten, ist jedoch durch nichts zu entschuldigen. Die Boomer-Generation unserer (des NidW-Teams) Eltern, hat den wirtschaftlichen, hauptsächlich durch Gas und Öl angetriebenen, weltweiten Aufschwung der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts vorangetrieben. Unsere eigene Generation ist verantwortlich dafür, diesen Weg der globalen Ressourcenausbeutung in gerader Linie fortgeführt und durch die Globalisierung und Digitalisierung rund um die Jahrtausendwende bis zum heutigen Tag beschleunigt zu haben.
Und jede*r, wirklich jeder*r von uns hat gewusst, wohin das führt.

Meine Nerd-Kindheit war geprägt von den Dokumentationen von und mit Menschen wie Heinz Sielmann oder Alfred Grzimek und ich verwette meine Kamera darauf, wenn nicht JEDE Tierdoku der 70er und 80er Jahre mit salbungsvoll warnenden Downern endete wie: „Doch dieses Naturschauspiel ist bedroht, denn…“ oder: „Doch das gefährlichste Raubtier ist immer noch… der Mensch!“.
Als Schulkinder gingen wir in der Projektwoche mit dem Förster in den Wald, schauten uns das damalige Waldsterben aus der Nähe an und verteilten während großer Waldschutz-Aktionstage mit Metallschippen Kalk zwischen den Bäumen, um den sauren Regen zu neutralisieren (eines der wenigen Umweltprobleme, dass man durch konsequente politische Maßnahmen in den Griff  bekam). In den Nachrichten hörte man vom Ozon-Loch, das übrigens immer noch da ist. Jedes Kind wusste, dass westliche Industrienationen und unser Über- und Fehlkonsum für überdüngte Flüsse, kaputte Bäume, brennende Wälder, schwindende Fischbestände, strandende Wale und schmelzende Gletscher verantwortlich sind.

Treibhauseffekt 1998
Als der Klimawandel noch Treihauseffekt hieß: Zeitschriftenausschnitt aus der „Neuen Berliner Illustrierte“ von 1998. Auch unsere noch nicht mit uns vereinigten ostdeutschen Freunde waren genau im Bilde.

Das Wissen um diese Phänomene war schon damals allgemein verfügbar, und zwar nicht nur über „die Mainstream-Medien“ ™, sondern selbstverständlich auch über die wissenschaftliche Fachliteratur, wie ich während meines Heranwachsens sehr bald lernen durfte.

Kaum etwas ist für mich frustrierender, als zu sehen, wie meine Generation die Erfahrungen der eigenen Jugend verdrängt, vergisst, was sie in den letzten 40 Jahren gelernt hat (oder besser: hätte lernen können) und mehr oder weniger die komplette Wissenschaft als Teil einer „Verschwörung“ in die Tonne tritt. Die Geschichte des Klimawandels und der Klimawandelforschung ist eine gewaltige Erzählung großer und wichtiger Erkenntnisse einerseits und himmelschreiender Ignoranz und Dummheit andererseits.

Das Weltklima und eine „Verschwörung“ der Ölindustrie

Verschwörungstheorien sind zurzeit in aller Munde: geheime Eliten, die uns kontrollieren, uns unserer Freiheiten berauben und versuchen, ihre düsteren Machenschaften zu vertuschen! Ob Hillary Clinton nun in Wahrheit ein außerirdisches Reptilienwesen ist oder Bill Gates uns allen über eine Covid-19-Impfung Nao-Chips verpassen will: meist sind Verschwörungstheorien völlig banane, folgen den immer gleichen Mustern und dienen letztendlich bloß einer konservativ-rechten Agenda.

Doch sollte man nie vergessen, dass es auch echte „Verschwörungen“, also wirkmächtige, von Verneblung und Vertuschung begleitete und von Eliten geplante Machtprojekte gibt. Der CIA-Abhörskandal ist ein Beispiel für ein solches real existierendes Machtprojekt. Das im übrigen nach wie vor andauert.

Eine andere Verschwörung dreht sich um den sogenannten „Shell-Report“. Die Kurzfassung lautet so: Bereits in den 70er Jahren wiesen erste Wissenschaftler darauf hin, dass mit dem Weltklima etwas nicht zu stimmen schien und dass dies mit dem Ausstoß von Treibhausgasen unserer Zivilisation zu tun haben könnte. Mitte der 80er Jahre beschloss der Shell-Konzern, ein Expertengremium mit einer groß angelegten Analyse zu beauftragen, um diesen Verdacht zu entkräften. Die Öffentlichkeit war damals bereits eher unerfreut von auslaufenden Ölfrachtern und elendig sterbenden Seevögeln, man wollte in der Branche nicht noch mehr schlechte Publicity. Leider fiel das Ergebnis der Untersuchung ganz anders aus als von Shell erhofft: Die unabhängigen Experten arbeiteten, über jeden Zweifel erhaben, heraus, dass die Verbrennung fossiler Energieträger langfristig die Erde aufheizen wird. Vielleicht nicht zu Lebzeiten der Verfasser, aber späterer Generationen. Der Shell-Report verschwand schnurstracks, als „vertraulich“ eingestuft, in den Schubladen der Konzernvorstände und seitdem hat die Öl- und Gasindustrie alles, wirklich ALLES dafür getan, um den menschengemachten Klimawandel unglaubwürdig zu machen… bis in höchste politische Kreise hinein.

Shell gibt sich inzwischen reuig und erkennt den Klimawandel als wissenschaftliche Tatsache an, hat aber trotz einiger inzwischen nachgeholter Lippenbekenntnisse wenig in alternative Energien investiert. Der gesellschaftliche Schaden, den solche Gebaren mit angerichtet haben, ist schwer zu beziffern, aber offenkundig:

Selbst heute noch, 30 Jahre später, gehen furchtbar normale Manfreds und Rockos (meist sind es ja Männer) gegen „die da oben“ auf die Straße, brüllen „Fuck you, Greta!“ und merken dabei nicht, dass sie lediglich das wiederkäuen, was ihnen die einst mächtigste Wirtschaftslobby der Welt jahrzehntelang eingetrichtert hat.
Es ist zum Haareraufen!
Wer die ganze haarsträubende Story lesen mag, dem sei dieser Artikel auf Spiegel Online ans Herz gelegt. Warum lassen wir uns so etwas gefallen? Eine Frage, die auch ich mir immer wieder selbstkritisch stelle, denn ich bin ja Teil dieser Generation, die es „verbockt“ hat.

Klimarettung: Was können wir tun?

Diese Frage war unvermeidlich und andere Autor*innen glänzen an dieser Stelle mit einer Wagenladung von Handlungsanweisungen: Weniger fliegen, auch mal das Auto stehen lassen, Fleisch reduzieren, Plastik vermeiden, kein Soja kaufen, im Sommer den Bienen eine Wasserschale aufs Fensterbrett stellen oder, bitteschön, keine Kinder zeugen…

So nicht-falsch all diese Wege sein können, „etwas für’s Klima zu tun“, so sehr habe ich persönlich ein grundsätzliches Problem mit ihnen: Sie wälzen die Verantwortung von den großen Playern aus Wirtschaft und Politik auf „kleine“ Einzelindividuen ab. Und das ist nicht gut. Es nimmt diejenigen Körperschaften und Handlungseinheiten, die aufgrund ihrer Verantwortung und Macht wirklich für den Klimawandel verantwortlich sind UND die Macht haben, ihn aufzuhalten, aus der Pflicht und bürdet einzelnen Menschen eine Last auf, die sie nicht stemmen können.
Ich möchte damit nicht schreiben, dass „weniger Autofahren“ falsch ist. Natürlich ist es schön, wenn einzelne Menschen sich fragen, wie sie ihr persönliches Konsumverhalten ändern können, um ihren kleinen Teil beizutragen. Es ist nur nicht genug. Der Verweis auf die persönliche Verantwortung, auf den „mündigen Konsumenten”, ist tatsächlich nur ein wohlfeil klingendes Ablenkungsmanöver, mit dem wirtschaftsliberale Politiker und Konzerne ein Hase-und-Igel-Spiel gegen den Umweltschutz spielen. Die Marktmacht des Kunden wird völlig überbewertet und die Marketingmacht der Unternehmen massiv unterschätzt, denn auf zehntausend wütende Boykottierer kommen hundertzehntausend neue Käufer, die mit der nächsten Kampagne und dem übernächsten Produkt mobilisiert werden. Wirklicher Wandel muss von oben kommen und da zupacken, wo der lange Hebel angesetzt wird! Es mag ernüchternd klingen und eine bittere Pille sein, die ich den Leser*innen zum Schlucken reiche: Nur durch Verordnungen, Gesetze und internationale Verträge kann Natur dauerhaft und nachhaltig vor dem Untergang gerettet und bewahrt werden.

Deshalb habe ich an dieser Stelle nur eine einzige Bitte:

Werdet umweltpolitisch!

Unterstützt politische Bewegungen und NGOs, die gegen falsche Klimapolitik kämpfen! Die lauteste und sichtbarste dieser Bewegungen ist im Moment Fridays For Future und, um einen Slogan der „Partei“ zu entlehnen: Sie ist sehr gut. Man muss kein ausgemachter Greta-Thunberg-Fan sein (was ich jedoch zugegebenermaßen bin), um zu erkennen, dass die vielen jungen Leute, die vor Corona auf die Straße gingen und es hoffentlich bald wieder tun werden, mit ihrer Kritik und jeder einzelnen Forderung im Recht sind. Sie haben die Fakten und die Wissenschaft auf ihrer Seite und jedes weitere verlorene Jahr ist eines zu viel. Wenn euch das zu zahm ist: Engagiert euch bei Extinction Rebellion Deutschland. Wenn ihr es traditioneller und geregelter mögt, dann tretet einer NGO wie Greenpeace bei oder arbeitet ehrenamtlich für irgendeine andere Naturschutzorganisation; oder geht in die grüne Politik, why not?

Fordert von den Regierungen dieser Welt die Einhaltung längst ratifizierter Klimaabkommen, oder fordert am besten gleich neue, mit sinnvolleren Zahlen. Wählt Parteien, die eine radikale Abkehr von der Zerstörung unserer Ökosphäre anstreben und wählt Politiker ab, für die Natur an dritter, vierter oder fünfter Stelle kommt, wenn überhaupt.

Damit schließe ich diesen, ausnahmsweise mal sehr unbegeisterten, Artikel und entschuldige mich für den „Long Read”, im festen Wissen, dass echte NidW-Leser lange Texte eigentlich sowieso nicht scheuen.

Katastrophen
„Wave after wave” von Graeme MacKay

Externe Bildquellen.

Hirschgeweihkoralle (Acropora cervicornis). Wikipedia, Lizenz https://creativecommons.org/licenses/by/2.5/deed.en

Cartoon „Wave after Wave”, Graeme MacKay 

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