Mikroabenteuer, Naturbeobachtungen und Trekking für Leute mit Schlaubrille
29. Januar 2019

Einen Monat Wildnis

By In Costa Rica, Weit, weit weg!

Die Welt ist groß und dank der Globalisierung mit all ihren Vorteilen und Schattenseiten so leicht zu bereisen wie noch nie zuvor in der Geschichte unserer Zivilisation. Möchte man sie sehen, befindet man sich – zumindest als Bewohner eines industrialisierten, nicht von Krisen geschüttelten Staates – in der unfassbar luxuriösen Situation, die Qual der Wahl zu haben. Abhängen auf Malle? Wandern auf Island? Selbsterkenntnis in Indien? Oder doch lieber eine USA-Rundreise? Für den Fernwehgeplagten, mit naturwissenschaftlich-zoologischem Interessenschwerpunkt schrumpft die Auswahl sinnvoller Reiseziele dagegen um einiges zusammen: Raubbau, Zersiedelung und Massentourismus zerstören seit Jahrzehnten weltweit Lebensräume und als ökologisch bewegter Tourist möchte man die daran beteiligten Strukturen nicht auch noch unterstützen. Deshalb legten wir an unsere nächste Fernreise in die Tropen zwei Kriterien an: Zum einen musste es sich um einen ökologischen Hotspot handeln, an denen man mehr zu sehen bekommt als Kokosplantagen und schöne Strände, zum anderen wollten wir sanften Ökotourismus unterstützen (jaja, und dann fliegen… ich weiß, seufz).

Einer unserer vielen Träume war und ist es, längere Zeit in einem intakten tropischen Regenwald zu verbringen und dort unsere privaten Beobachtungsstudien zu betreiben. Tagelang auf schmalen Trampelpfaden durch das üppige Grün wandern, Flüsse durchwaten und zugewucherte Hügel erklettern. Ameisenstraßen verfolgen, mit dem Tele an Affen und Papageien heranzoomen oder vor einer Bromelie hocken und darauf warten, dass sich der Baumsteigerfrosch blicken lässt. Wenn sich dann vielleicht noch ein Meer in der Nähe findet, das man betauchen kann, umso besser.

Costa Rica also. Warum diese Wahl so nahe liegt, lässt sich in fünf Minuten ergoogeln, aber ich gebe euch gerne eine kurze Zusammenfassung.

Eine kleine ökologische Costa-Rica-Kunde

Costa Rica hat so ziemlich jede Landschaft in petto, die man sich als Naturreisender wünschen kann: Markante Hochgebirge mit rauchenden Vulkanen, knisternde Trockenwälder und durchglühte Wüsten, dampfende Regenwälder und geradezu lächerlich kitschige, weite Strände an zwei Ozeanen.

Über 500.000 Tierarten leben nachgewiesenermaßen innerhalb der Grenzen dieses Landes, dessen Name übersetzt „reiche Küste“ bedeutet. Dazu kommen weit mehr als 10.000 Pflanzenarten. Während wir uns hierzulande über einen hübschen Mischwald mit 4–8 verschiedenen Baumarten freuen, protzt Costa Rica mit über 300 Baumarten, von denen über hundert auf dem gleichen Areal vorkommen können. Costa Rica ist also einer der ganz wichtigen Bio-Hotspots auf diesem Planeten. Wenn Tropenökologen Studien an Waldgemeinschaften durchführen wollen, fahren sie nach Borneo oder Costa Rica. Wenn Entomologen möglichst viele Insekten sammeln wollen, holen sie sich eine Sondergenehmigung und fliegen nach Costa Rica. Wenn Birder seelig grinsend mit hunderten von Vogelbildern heimkommen, waren sie in Costa Rica. Wenn… ach, Ihr habt mich schon verstanden.

All diese Pracht kommt nicht von ungefähr: Costa Rica gehört zum – leider sehr kleinen – Club der Staaten, die dem Erhalt der eigenen Naturreichtümer eine hohe Priorität einräumen. Das war einmal anders: In den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts waren nur noch 20% des Landes mit Wald bedeckt. Ein von Goldgewinnung und Anbauwirtschaft (hauptsächlich Kaffee und Bananen) vorangetriebene Raubbau, der auch in anderen Mittel- und Südamerikanischen Staaten den Regenwald zerstört, ist hier nicht unbekannt. Doch irgendwie hat Costa Rica die Kurve gekriegt und es gewagt, fast ein Drittel der eigenen Fläche unter Naturschutz zu stellen. Es gibt 26 Nationalparks, fast 150 kleinere Naturreservate und inzwischen sind über 50% des Landes wieder von Wald bedeckt. Dabei hat das Land gerade mal ein Siebtel der Fläche der Bundesrepublik. Costa Rica gewinnt seinen Strom ausschließlich durch erneuerbare Energien. Es gibt staatlich geprüfte Schulen für Wildhüter und Exkursions-Guides und zahllose gemeinnützige Umweltstiftungen und Volontariatsprojekte.
Natürlich ist auch in CR nicht alles grün, was glänzt. Wilderer bedrohen Jaguare und Meeresschildkröten, die Fischereiflotten Chinas räumen aufgrund eines hoffnungslos übervorteilenden Abkommens vor den Küsten des Landes die Meere mit ihren Trawlern aus und der extensiv betriebene Kaffeeanbau ist dann mancherorts eben doch wichtiger als die Umwelt. Und doch liegt das Land mit seinen Bemühungen um viele Größenordnungen über dem, was andere, reichere Staaten auf die Kette bekommen.

Primärer Regenwald in Costa Rica
Primärer Regenwald in Costa Rica

Die grüne Einsicht hat erkennbare Ursachen, die sich in der Geschichte, insbesondere der Politik und Ökonomie finden lassen: Politische Zerrüttungen blieben den „Ticos“ und „Ticas“, wie sich die Costaricaner selbst nennen, weitgehend erspart, von einem kleinen Bürgerkrieg 1948 (Ursache war ein Wahlbetrug) einmal abgesehen. Nach der Beilegung der Streitereien wurde die Armee einfach abgeschafft und seitdem ist, dank vernünftiger Sozialpolitik, Costa Rica eine stabile Demokratie, die von sozialen Unruhen, Diktaturen und anderen Unschönheiten, die man sonst so auf dem Kontinent antrifft, verschont geblieben.

Ich kann mir nicht helfen, aber das klingt alles furchtbar sympathisch, zumal man den Ticos unglaubliche Herzlichkeit und eine sehr entspannte Lebensart nachsagt. Ich freue mich darauf, diese sehr bald kennenzulernen!

Die „Schweiz Südamerikas“ ist eine Phrase, die man immer wieder im Zusammenhang mit Costa Rica hört. Tourismus ist einer der wichtigsten Wirtschaftssäulen, denn man hat auch den finanziellen Wert der Naturschönheit erkannt. Und die sanfte Ökovariante soll dafür sorgen, dass es auch so bleibt. Fast zwei Millionen Besucher wollen jedes Jahr ein Stück vom Paradieskuchen abbekommen und der Tourismus steht im Spannungsfeld zwischen Naturbedrohung und Naturerhaltung, denn zu beidem hat er das Potenzial.

Die Osa Peninsula

Wie bereits in der Kurzbeschreibung unserer Reise angekündigt, werden wie einen ganzen Monat in Costa Rica verbringen. Unser Schwerpunkt wird hierbei nicht auf Rundreisen, Sehenswürdigkeiten und Kulturdenkmäler liegen, sondern wir wollen uns bewusst auf einen reinen Naturerkundungstrip innerhalb eines eng definierten Lebensraums beschränken: Wandern im Regenwald, Tiere filmen und fotografieren, bis man uns halbverhungert retten muss, Schnorcheln und Tauchen im Meer… das ist der Plan. Ganz in den Süden zieht es uns, auf die Peninsula de Osa, die Halbinsel Osa.

Hellroter Ara in Costa Rica
Der bedrohte hellrote Ara Ara macao hat im Süden Costa Ricas ein Refugium gefunden und kommt hier in einer stabilen Population vor.

Osa ist eine Art costaricanisches Bio-Konzentrat: Mindestens die Hälfte aller Tier- und Pflanzenarten des Landes lebt hier. Kronjuwel der Halbinsel (und diese zu zwei Dritteln bedeckend) ist der Corcovado-Nationalpark, einer der größten zusammenhängenden Primärwälder Mittelamerikas und laut National Geographic „The most biologically intense place on earth in terms of biodiversity“. Wir freuen uns auf Affen, Aras und zahllose andere Vogel-Spezies, Fledermäuse, Faultiere, Tapire, Wildschweine, Ameisenbären, Pumas, über 200 Schlangenarten (davon 23 giftig) sowie zahllose Spinnentiere und Insekten. Im Wasser locken den Hobby-Zoologen Kleinfische aller Art, Krokodile, giftige Seeschlangen, mehrere Delphinarten und mit etwas Glück Walhaie, Mantas und sogar Buckelwale. Einen wundervollen Eindruck vermittelt der folgende, von National Geographic präsentierte Dokumentarfilm:

Der Corcovado wurde 1975 zum Nationalpark erklärt. Tropenökologen unterscheiden ihn in dreizehn verschiedene Ökosysteme, von denen Tieflandregenwald, prämontaner (vorgebirgiger) Bergregenwald und Mangroven die wichtigsten sind. Die Corcovado-Region war bis in die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts hinein völlig unerforscht, litt dann aber unter einem Goldrausch, bei dem Flüsse verschlammten und Wälder geschädigt wurden. Erst in den 80ern konnten die Goldsucher endgültig vertrieben werden. Der Nationalpark wurde geschützt und der Wissenschaft und dem Ökotourismus zugänglich gemacht.

Der mit Wanderwegen gut ausgebaute Park darf nur in der Begleitung von lizenzierten Guides betreten werden. Ein wichtiger Teil des erwähnten Schutzes sind die Ranger-Stationen, die von den Guides mit den Touristen in Ein- oder Mehrtages-Touren per Boot und zu Fuß angesteuert werden. Wer nun den Eindruck hat, dass es sich um ein kleines, von Touries ausgetretenes Schau-Wäldchen handeln könnte, liegt falsch. Der Corcovado-Nationalpark hat eine Ausdehnung von über 40.000 Hektar. Um ihn von Puerto Jimènez nach Agujitas zu durchwandern, benötigt man drei volle Tage. Mit den Ortsnamen habe ich vorgegriffen:
Zwei kleine Ortschaften, die sich an den Rand des Nationalparks schmiegen, prägen das menschliche Leben auf der Halbinsel: Die eine ist Puerto Jimènes, die größte „Stadt“ Osas und im Nordosten am Golfo Dulce gelegen. Die andere ist Agujitas, ein winziger Ort ganz weit ab vom Schuss an der Westküste, und dort wiederum in der Bahia Drake, der Drake-Bucht.
Unsere Wahl fällt schnell auf das kleinere Agujitas mit knappen 1000 Einwohnern. Zu verführerisch erscheint uns die Aussicht auf Abgeschiedenheit, auf kilometerlange, nahezu unberührte Küstenlinien, auf den Regenwald direkt vor der Haustür und die Nähe zu Cano Island, dem besten Tauch-Spot Costa Ricas. Agujitas ist recht weitläufig, denn die Hotels, Fincas, Läden und kleinen Gastrobetriebe verteilen sich lose entlang eines organisch gewachsenen, locker geknüpften Straßennetzes. Zumindest auf Google-Maps ist schwer zu erkennen, wo die Ortschaft genau aufhört, in große Gärten und kleine Agrar-Parzellen übergeht und sich schließlich im Regenwald verliert. Eine nicht sehr vertrauenserweckende, winzige Landebahn mitten im Wald wird von noch winzigeren einmotorigen Flugzeugen angesteuert.

Hütten im Dschungel

Wir haben uns natürlich lange die verschiedenen Übernachtungsmöglichkeiten auf Booking.com und Tripadvisor angeschaut. Die wenigen Luxushotels und auch die mittelpreisigen, in Stein gebauten Pensionen fielen sofort raus, ebenso die radikal-puristischen Zeltplätze sowie die gruseligen 6-Bett-Zimmer-und-ein-Klo-für-alle-Wellblech-Baracken. Unsere Wahl fiel dann auf ein ziemlich günstiges, aber für unseren Zweck ideales Hostel, das Mohagine Hotel y Finca. Wie der Name es schon andeutet, steht das Hotel auf einem großen, halbwilden Grundstück. Neben dem Rezeptionsgebäude gibt es einen (nach mehreren Seiten offenen) Chillout-Bereich, eine (ebenfalls lediglich überdachte) Gemeinschaftsküche und mehrere Cabañas, kleine gemütliche Hütten, erbaut aus einheimischen Hölzern und gedeckt mit Palmblättern. Auf Wunsch gibt es Frühstück, Touren können vor Ort geplant und gebucht werden und die Tiere des Waldes kommen, wenn man den Berichten anderer Gäste glauben darf, direkt bis vor die Veranda. Die im Email-Kontakt bereits sehr netten Inhaber (ein deutsch-costaricanisches Ehepaar) werben mit einem großen Lehrgarten, der über 50 Fruchtpflanzen beherbergt und auf dem man Baumsteigerfrösche, Orchideen, viele Vogelarten, Affen und Aras beobachten kann. Das Mohagine liegt ziemlich ideal in Fußweite des Ortskerns einerseits, in Strandnähe und de facto mitten im Dschungel andererseits. Klingt eigentlich zu schön um wahr zu sein, insbesondere für den Preis von umgerechnet 23–36 € für eine Doppelhütte. Das Mohagine wird in den ersten beiden Wochen unsere Basis für kleine Exkursionen, Wanderungen, Mehrtages-Trips und Tauchgänge sein. Wo es uns danach hin verschlägt: Wer weiß?

Dschungel-Hütte in Costa Rica
In dieser nach hinten offenen Cabaña werden wir die ersten zwei Wochen unseres „Waldurlaubs“ verbringen.

On The Road

Bevor wir jedoch dies alles erleben dürfen, müssen wir erst einmal hinkommen. Wie im anderen Blogeintrag schon erwähnt, fliegen wir mit Swiss Air nach San José. Dort haben wir einen Zwischenstopp mit drei Übernachtungen, die wir dazu nutzen wollen, uns die (Berichten nach nicht allzu spektakuläre) Landeshauptstadt anzuschauen und auf unseren Freund und Reisegenossen Andi zu warten. Außerdem planen wir mit einem Mietwagen einen selbst organisierten Tagestrip zum Vulkan Irazú und der umgebenden Naturlandschaft.

 

Es wird also einiges los sein in den nächsten Wochen und Monaten auf diesem Blog. Es lohnt sich uns im Auge zu behalten!

 

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