Es ist warm. Nunja, eher drückend heiß, bestimmt 30° Celsius. Nicht nur das, es ist auch erstaunlich feucht. So feucht, dass ich meine Kamera in ihr Unterwassergehäuse packen muss, um zu verhindern, dass sie kaputt geht. Leider beschlägt besagtes Gehäuse jedoch von innen, was die Sache nicht besser macht. Also bin ich hektisch am Auf- und Zuklappen und am Wischen… blöd nur, dass mein Linsenputztuch längst selber von Feuchtigkeit getränkt ist. Es ist zum Ausrasten!
Ich habe ja mit Hitze, Durst und allerlei körperlichen Entbehrungen gerechnet, mit denen man im tropischen Regenwald so rechnen muss, nur nicht mit einem derart banalen (und doch so vorhersehbaren!) Problem.
Wir befinden uns mitten im Dschungel nahe des Dorfs Tentena auf Sulawesi. Sulawesi wiederum ist eine Insel in Südostasien und gehört zum Staat Indonesien.
Hier stehe ich also nun, wenige hundert Kilometer südlich des Äquators am Rande eines heftig schäumenden Gebirgsbaches und ärgere mich über meine GoPro, der es tatsächlich zu feucht ist. Und ich liebe es gleichzeitig!
Natürlich nicht das Equipment-Malheur, sondern die Tatsache, dass ich am anderen Ende der Welt unter diesem gewaltigen grünen Blätterdach stehe und um mich herum das schiere Leben krabbelt, zirpt, quakt und summt. Zwischen den undurchdringlich wirkenden Büschen und Bäumen ragen gewaltige Feigenbäume bis zu 40 Meter empor, bunte Schmetterlinge umflattern uns, Ameisenstraßen kreuzen den Pfad und ein ganz leichter Nieselregen legt sich wie Nebel auf die Haut.
Wir sind zu dritt nach Indonesien geflogen, Andi, Birte und ich; und bereits sechs Tage auf Sulawesi. Bisher haben wir die meiste Zeit mit Tauchen verbracht, aber da ist auch der Wunsch, endlich auch mal mehr vom Landesinneren zu sehen und ein bisschen zu wandern. Das Tauchresort hat diese kleine Halbtagestour für uns klar gemacht und uns einen Dschungelguide vermittelt.
Sein Job ist es, uns mit dem Wagen über Palu nach Tentena und dann zu Fuß in den Dschungel zu bringen. Dort wollen wir den Berg hinaus bis zum Sulewana-Wasserfall, der – neben dem Regenwald als solchen – weit und breit die einzige Attraktion darstellt. Sule bedeutet „Herz“ und Wana bedeutet „Wald“… das klingt doch vielversprechend, oder?
Clash der (Tourismus-) Kulturen
Unser Guide heisst Wawi, ist ein netter Kerl und macht uns auf den ersten Blick den Eindruck eines typischen, im Tourismus beschäftigen Sulawesen: Gelassen, cool, ein bisschen lustig, aber auch nicht übermäßig extrovertiert und mit einem halbwegs verständlichen Englisch ausgestattet. Ich schätze mal, er macht solche Touren mehrmals die Woche und hat einen leichten Job. Wir denken, dass er sich unsere Wanderung ungefähr so vorgestellt hat: Tollpatschige Touristen in den Regenwald begleiten, zum Wasserfall hoch scheuchen, „Aaah-Oh-hoooh, tolles Panorama!“ … ein paar schnelle Bilder; und dann aufpassen, dass sie sich beim Abstieg kein Bein brechen. Er hat nicht mit uns gerechnet… denn wir sind gar nicht an seinem Wasserfall interessiert.
Bereits für die ersten fünfhundert Meter, vom Parkplatz des Geländewagens aus gerechnet, benötigen wir ungefähr anderthalb Stunden. Nein-nein, nicht, weil wir unfähig wären. Zwar ist es durchaus so, dass wir in unseren Outdoor-Klamotten und den dicken Rucksäcken sehr tourimäßig aussehen, während unser Guide nur in Badeshorts, Shirt und Flipflops vor uns her schlurft. Doch ist Unbeholfenheit oder Über-Equipmentierung nicht das Problem.
Vielmehr stellt sich die Situation so dar, dass wir bei jeder interessanten Pflanze und bei jedem, wirklich jedem Insekt einen lauten Ausruf tätigen und einen wild diskutierenden Fotokreis um das Subjekt unserer Neugierde bilden.
Bei Andi z.B. wird erst einmal das Stativ auseinander geklappt (sowie mehrfach umgestellt) und dann wild an der Systemkamera justiert, während ich verzweifelt versuche, meine Filmkamera nebelfrei zu bekommen und Birte angeregt im Bestimmungsbuch blättert. Währenddessen fühlt sich der Käfer, die Spinne oder der Falter in unserer Mitte durch die allzu offensichtliche Aufmerksamkeit ein bisschen zu sehr in seinem persönlichen Save-Space verletzt und hüpft, flattert oder krabbelt zwei Meter den Weg entlang. Was natürlich dazu führt, dass wir alle hektisch unseren Kram unter die Arme klemmen und schnatternd hinterher tigern. Allzu oft biegen wir dabei vom eigentlichen Weg zum Wasserfall ab („Oh, schaut mal… eine Kakao-Plantage!“) oder –für den armen Wawi wohl noch schlimmer- wir lassen uns derart ablenken, dass wir den Weg sogar ein Stück rückwärts gehen. Auch sehr beliebt: Sich mit der Linse vor den Unterschlupf eines Tieres setzen und warten, geduldig warten, bis es sich zeigt.
Ein unschuldiger Dschungel-Guide und drei Hobby-Arachno- und Entonologen… das kann lustig werden.
Im Netz der Nephila
Was das bedeutet, wird an der ersten offiziellen Station unseres Trips augenscheinlich. Ich weiß nicht, ob unser Führer denkt, man sollte uns mal ein bisschen erschrecken oder ob die Grusel-Nummer zum Standardprogramm gehört, jedenfalls führt er uns mit verschwörerisch-verschmitzter Mine auf eine sehr hübsche Lichtung, die von einigen kleinen Rinnsalen durchflossen wird. Dort zeigt er auf den Waldrand und ich mache kleine Hüpfer vor Freude:
Riesige Radnetze mit einem Durchmesser von ungefähr einem Meter, die Haltefäden nicht mitgerechnet… eines neben dem anderen! Und in diesen Netzen: wirklich große Spinnen, so groß wie mein Handteller und mit ausgestreckten Beinen, ausladend wie Birtes Hände. Apropos Birte: Die leidet zwar unter latenter Arachnophobie, nähert sich aber durchaus fasziniert und macht ebenfalls wild Fotos. Einige der Netze sind quer über den Weg gespannt und verlangen, dass man sich darunter hindurch bückt, was sehr praktisch ist, weil man die Spinnen dann von beiden Seiten betrachten kann.
Wawi ist entsetzt darüber, dass wir so nahe rangehen. Er winkt unsicher, murmelt etwas von „Poison, Poison!“ und schaut noch entsetzter, als wir ihn einfach ignorieren. Er weiß anscheinend nicht, dass Seidenspinnen der Gattung Nephila für den Menschen völlig ungefährlich sind. Nicht nur ist das Gift nicht sonderlich potent, auch sind Nephilas ausgesprochen friedfertig und defensiv. Tatsächlich habe ich Seidenspinnen selbst mehrfach daheim gehalten, zuletzt frei spinnend in unserem Wintergarten. Dabei wurde ich nie gebissen, vielmehr muss man beim Umsetzen aufpassen, dass man den – trotz ihrer Größe zart gebauten – Tieren beim Umsetzen nicht schadet. Die Spinnen der Gattung Nephila stellen die größten netzbauenden Spinnen des Planeten und in ihren Netzen können sich sogar kleine Vögel und Echsen verfangen, auch wenn der Schwerpunkt des Beutespektrums aus Fluginsekten besteht. Die Seide ist inzwischen ein Objekt materialtechnischer Forschung und wird – dank Gentechnik – in industriellem Maßstab hergestellt. Und bevor jemand fragt: Nein, nicht durch mutierte Riesenspinnen, sondern durch transgene Seidenraupen und Ziegen.
Leider gelingt es mir nicht, die Art genau zu bestimmen, denn Fotos werden im Internet scheinbar wahllos allen möglichen Arten zugeordnet und einen ordentlichen Bestimmungskatalog habe ich nicht gefunden (gut, ich habe auch nicht intensiv danach gesucht), jedoch käme vom Verbreitungsgebiet her z.B. Nephila vitiana in Frage. Beim genaueren Studieren der Netze fallen uns kleine, sehr fein gebaute Spinnchen ins Auge, die meist am Rand der Netze oder in der Nähe der großen Spinne sitzen. Sind es Parasiten? Fast! Es sind die Nephila-Männchen, die in der Nähe des Weibchens herum lungern und auf ihre Gelegenheit warten. Wir können sogar eine Paarung beobachten, siehe Bild oben.
Tausend Füße und ein armer Guide
Auch wenn wir uns nur schwer losreißen können, geht es dann doch irgendwann mit Wawis Dschungel-Gruseltour weiter: Diesmal sind es im feuchten Moos sitzende oliv-grau-gelbe und schwarz-rote Würmer, auf die er mit dem Finger zeigt. Nein, keine Würmer, sondern Tausendfüßer! Und zwar richtig große, ungefähr 15-18 cm lang, offensichtlich an der gleichen Stelle als zwei verschiedene Spezies vorkommend. Welche, vermag ich unmöglich sagen, denn die taxonomische Situation hinsichtlich der Sulawesi-Millipeden ist noch viel rettungsloser als die der Nephila-Arten. Für einen Laien ist es schlicht unmöglich, hier Klarheit zu bekommen. Ich habe die Tiere später sogar als „Sulawesi-Rotfuß-Tausendfüßer“ und „Geber Sulawesi-Tausendfüßer“ in einem deutschen Online-Shop gefunden, jedoch ohne Hinweis auf eine taxonomische Einordnung.
Ich hebe einen auf und schaue ihn etwas genauer an. Unser Guide schüttelt angewidert den Kopf und erklärt mir, dass die roten besonders gefährlich seien, denn sie hätten ihre Farbe deshalb, weil sie sich von Blut ernährten. Das ist natürlich hahnebüchen, die Tiere sind völlig harmlos, ernähren sich von Pflanzenresten und haben nur einen einzigen Abwehrmechanismus, mit dem sie sich wehren können: Aus seitlichen Öffnungen der Körperringe sondern sie ein Sekret ab, dass unangenehm riecht und die Schleimhäute reizen kann, wenn man sich nach einer Berührung versehentlich in die Augen oder an den Mund fasst. So dumm bin ich freilich nicht, vielmehr achte ich darauf, das hübsche Tierchen erst gar nicht zu ängstigen (man erkennt Stress bei Tausendfüßern an der eingerollten Abwehrstellung) und schon bald läuft es mir neugierig über die Hände und wedelt mit seinen Antennen vor meiner Brille herum. Ich versuche, Wawi den Unterschied zwischen „poisonous“ (giftig nur durch die Inhaltsstoffe, z.B. als Beutetier beim Verschlucken) und „venomous“ (eigenständig in der Lage, Gift zu injizieren, z.B. durch Zähne und Klauen) zu erklären, bin mir aber nicht sicher, ob er mir Glauben schenkt.
Ich weiß, es wirkt ein bisschen überheblich, unseren Guide hier als Mann von unzureichender zoologischer Bildung vorzuführen und dem „Eingeborenen“ wie ein kolonialer Entdecker den Regenwald zu erklären. Andererseits frage ich mich, wie Indonesien sanften Ökotourismus einführen will, wenn schon die Guides keine Ahnung von der eigenen Tierwelt haben, die es doch zu beschützen gelte? Außerdem sind solche Wissenslücken und Vorurteile auch „bei uns“ immer noch ziemlich weit verbreitet: Immer wieder begegnen wir in Deutschland Leuten, die denken, dass Libellen stechen können (Hummeln dafür angeblich nicht) und dass sieben Hornissenstiche ein Pferd töten (und drei einen Menschen). Oder die die urbane Legende über die Spinne in der Yuccapalme zu berichten haben.
Zu Wawis Ehrenrettung muss ich anfügen, dass es auch Dinge gibt, mit denen er uns überrascht, insbesondere auf dem Gebiet der Botanik. Mehrfach weist er uns auf essbare Pflanzen hin oder zeigt uns interessante Orchideen und Mimosen
Der Weg zum Sulewana-Fall dauert normalerweise nur ungefähr anderthalb Stunden, wir brauchen vier, weil wir so viel entdecken. Der Weg wird immer unwegsamer und stellenweise zur Krakselpartie über feuchte Felsen und glitschige Wurzeln, während links von uns der Wildbach in der Tiefe rauscht. Weitere spannende Arthropoden, die wir studieren, sind u.a. Stabschrecken, Riesenspringspinnen, Ameisen sowie zahlreiche Heuschrecken und Falter. Säugetiere und Reptilien sehen wir leider keine und auch Vögel machen sich erstaunlich rar. Trotzdem machen wir tolle Fotos und eine Menge Filmaufnahmen. Unser tapferer Guide hat irgendwann lachend und kopfschüttelnd resigniert und zündet sich in den Zwangspausen Zigaretten an.
Irgendwann kommen wir dann doch am Wasserfall an und ja: Der Anblick ist wirklich großartig, beachtet das Titelfoto dieses Artikels! Wir knipsen brav unsere Panoramafotos und machen uns dann an einen hastigen Abstieg, denn es beginnt nun richtig zu regnen und wir müssen das Tal wieder erreichen, bevor Dunkelheit über uns herein bricht. Dass unser Guide für seine Engelsgeduld später noch angemessen belohnt wurde, versteht sich von selbst.
Dschungel-Fazit
Was sind unsere Lehren aus dieser unterhaltsamen Episode?
- Auch im Regenwald liegen die Wunder eher in den halb verborgenen Details.
- Wenn ihr so gepolt seid wie wir, also Wandern als Mittel zum Zweck seht, sondern euch für die Details am Wegesrand interessiert: Plant ausreichend Zeit ein und multipliziert die Zeitangaben eures Regenwald-Guides!
- Verpackt eure Elektronik mit ausreichend Silikat!
Weiterführende Links
Studie über transgen erzeugte Seidenrauen-Seide unter der Verwendung von Nephila-Genen