Zu Besuch im Alperstedter Ried
„HEY, da ist ein besonders FETTER!“ ruft Birte und deutet ins Gras auf dem kaum erkennbaren Pfad. Hä? Ich sehe nur Grünzeug. Oh, das Grünzeug bewegt sich ja ruckweise, wie die Bäume in Jurrasic Park, nur im Miniturformat!
Wir sind mal wieder in einem Moor unterwegs, diesmal im Alperstedter Ried bei Erfurt. Das Ried ist ein Gebiet, das wir anderen Natur-Freaks wärmstens ans grüne Herz legen können, denn hier gibt es eine Menge zu sehen:
Es ist Spätsommer und dramatische Wolken jagen, von Sonnenstrahlen durchbrochen, über die Feuchtwiesen. Schwalben flitzen im Tiefflug über die weiten Lichtungen, Schwärme von Staren wirbeln in wildem Formationsflug über den Himmel und im Hintergrund sieht man Exmoor-Ponys und massiv-urtümlich aussehende Heck- bzw. Taurusrinder gemächlich weiden. Trotz der rekordverdächtigen Dürre ist das Gras hier saftig und üppig, Binsen und Schilf wuchert. Links von uns rinnt ein langsam fließender Bach, der von dichtem Heckengestrüpp gefiltert wird. Beeindruckend dicke Weiden mit Löchern im Stamm – so groß, dass man hineinsteigen kann – bilden mit ihrem Astwerk ein grünes Dach über uns. Ein bisschen wie ein kleiner Sumpf-Urwald wirkt dies alles auf uns, und tatsächlich stellt der Alperstedter Ried eine attraktive Mischung aus dichtem Auwald und mooriger Feuchtwiese dar.
Wir gehen einen engen, kaum sichtbaren Pfad entlang und lassen uns von den Fröschen amüsieren, die da in kurzen Sätzen vor uns ins Gras flüchten.
Stichwort Gras: Es handelt sich um Grasfrösche, Rana temporaria. Ältere Leser kennen den Grasfrosch eventuell auch noch unter der Bezeichnung „Märzfrosch“, ein Hinweis auf seine manchmal recht frühe Laichzeit, weiter unten gibt es mehr artspezifische Details.
Fun mit Fröschen
Frösche mag jeder: Sie sind niedlich, harmlos, lustig, und auch ein bisschen dumm. Dieser hier, den Birte meint, ist noch dazu allzu behäbig und tatsächlich ziemlich fett. Genaugenommen ist das der größte Frosch, der mir bisher in freier (deutscher) Natur begegnet ist. Dieser Frosch ist so dick, dass er kaum vor uns davon zu springen vermag und er ist so groß, dass er gerade so in Birtes Hand passt. Als ich ihn aufnehme, muss ich beide Hände dazu benutzen. Ein paar müde Hüpfer und schon ist er Kameramodell! Geheuer ist ihm das natürlich nicht wirklich, also stellt er sich erst einmal tot, ein für viele Amphibien typisches Abwehrverhalten. In diesem Augenblick ist das ulkige Titelfoto dieses Beitrages entstanden, welches aussieht, als würde der Frosch in Birtes Hand schlafen oder gar röchelnd dahin scheiden. Keine Angst, es geht ihm ausgezeichnet und wir haben ihn nach den zwei Fotos natürlich gleich ins Gras gesetzt, wo er uns für weitere Bilder Modell saß!
An dieser Stelle ein Hinweis: Alle Froschlurche sind bundesweit im Rahmen des Bundesnaturschutzgesetzes „besonders“, bzw. „streng“ geschützt. Es ist verboten, sie ihrem Biotop zu entnehmen (insbesondere zur Haltung im Terrarium oder zur Umsiedlung in den eigenen Garten) und sie während der Paarungszeit zu stören. Das kurze Halten dieses Frosches auf der Hand findet somit in einer juristischen Grauzone statt, die wir in Kauf genommen haben, um einerseits das Tier vom Gehpfad anderthalb Meter ins angrenzende Gras zu setzen und andererseits den Leser für den Schutz dieser wunderschönen Kreaturen zu begeistern. Menschen ohne herpetologische Sachkenntnis möchten wir bitten, Frösche nicht zu berühren, ihre Haut ist sehr empfindlich. Solltet ihr ein Grasfrosch-Biotop besuchen, haltet euch an die Gehpfade und passt auf, wo ihr hin stapft: Die Tiere sind ausgezeichnet getarnt und man kann allzu leicht auf sie treten… bewegt euch langsam, damit sie euch ausweichen können.
Der Grasfrosch
Der Grasfrosch ist neben dem Teichfrosch Pelophylax esculentus und der Erdkröte Bufo Bufo der häufigste Froschlurch hierzulande. Vom Teichfrosch ist er leicht unterscheidbar, denn dieser ist Grün, während der Grasfrosch braun ist. Schwieriger wird es schon bei der Unterscheidung zu den beiden etwas selteneren Arten Moorfrosch (Rana arvalis) und Springfrosch (Rana dalmatina), von welchen er sich durch seine rundere Schnauze, ein anderes Trommelfell/Augen-Verhältnis und eine etwas abweichende Zeichnung unterschiedet. Diese drei Arten gehören in Deutschland zu den „Braunfröschen“ der Gattung Rana, während der Teichfrosch zu den „Grünfröschen“ der Gattung Pelophylax zuzurechnen ist.
Nun, da das geklärt ist, schauen wir uns diesen Frosch noch einmal genau an. Warum zur Hölle ist dieser hier so groß und fett, während all die anderen Grasfrösche, die hier herumspringen, deutlich kleiner sind? Die Antwort ist ein bisschen deprimierend, zumindest für den Grasfrosch: Er ist einerseits das geborene Raubtier: Gut getarnt, auf kurze Distanz blitzschnell und immer hungrig. Insekten, Asseln, Würmer und überhaupt: Alles, was gerade noch in ihn hinein passt, wird verschluckt. Einerseits.
Andererseits ist er auch das perfekte Beutetier: Lecker und dabei nicht besonders wehrhaft. Storch, Ringelnatter, Fuchs, Milan, Iltis, Ratte und Hauskatze laben sich an ihm. Das hat zur Folge, dass Grasfrösche zwar das Potenzial zu überraschender Körperfülle haben, dieses Alter jedoch nur selten erreichen und gefressen werden, bevor sie derart dick wie dieser hier werden, der sicher schon älter als sieben Jahre alt ist. Fortpflanzen können sie sich freilich schon weitaus früher, mit ungefähr drei bis vier Jahren.
Nicht wirklich selten, aber trotzdem bedroht
Der Name sagt auch bereits einiges über seine Lebensweise aus. Die ist nämlich deutlich landliebender als die des Teichfrosches. Während letzterer meist direkt am Ufer herum lungert und bei der kleinsten Störung mit einem Satz im Wasser ist, zieht es den Grasfrosch ins saftige Grün der umgebenden Wiesen, wo all die dicken Heuschrecken (siehe Fotogallerie) locken. Doch auch der Grasfrosch ist letztendlich ans Wasser gebunden: Nicht nur braucht er es zur Fortpflanzung, auch zieht er sich bei Trockenheit (und dieser Sommer ist besonders trocken) in Gewässernähe zurück. Deshalb ist auch Rana temporaria – wie alle einheimischen Amphibien – bedroht. Die Tiere benötigen ursprüngliche Feuchtwiesen, möglichst nicht in der Nähe malmender Autoreifen und reißender Katzenzähne, um dauerhaft überleben zu können. Wenn ihr also auch mal einen derart dicken Frosch seht, behandelt ihn mit Respekt, denn er hat bereits einige Gefahren überstanden. Mach‘s gut, fetter Freund! 😉
Weiterführende Links:
Amphibienatlas Sachsen der DGHT-Stadtgruppe Dresden
Der Grasfrosch ist „Lurch des Jahres 2018„. Wir gratulieren.
Studie der Universität Lund: Frösche sehen Farben bei Dunkelheit.
Wow, der ist ja niedlich!