Mikroabenteuer, Naturbeobachtungen und Trekking für Leute mit Schlaubrille
9. August 2020

Artenportrait: Die Wespenspinne

By In Creepy Crawlies, Deutschland, Tierbeobachtungen

Was treiben normale Leute am mit 35° Grad Celsius bisher heißesten Tag im Jahr? Wahrscheinlich Schwimmen, Eis essen oder einfach schlafen. Da ich jedoch nicht normal bin, sitze ich in der prallen Sonne im Kyffhäuserkreis auf einer Blumenwiese und fotografiere Spinnen. Zu allem Überfluss ist diese Wiese nicht nur von oben, durch die Sonne, sondern auch noch von unten gefährlich: Die hiesigen Hügel bestehen zu großen Teilen aus Muschelkalk und Gips, welches aufgrund von Auswaschungen von tiefen Spalten und Höhlen durchzogen ist. Eine dieser Spalten öffnet sich mehrere Meter neben mir mitten auf „meiner“ Wiese und ist mehr schlecht als recht durch eine unauffällige Eisenstange markiert. Aber was tut man nicht alles für seinen Spleen?
Vier Faktoren führen zu dieser Selbstkasteiung: Ich bin am richtigen Ort, es ist August, ich habe eine Kamera dabei und um mich herum hängen überall Wespenspinnen der Art Argiope bruennichi im Gras.

Profiteurin des Klimawandels

Die Wespenspinne hat offiziell keinen Schutzstatus und gilt als „nicht gefährdet“. In den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts ware sie hierzulande noch ein echter Exot und in nur wenigen Regionen mit höherer Jahresdurchschnittstemperatur wie dem Rhein-Maingebiet oder der oberrheinischen Tiefebene anzutreffen. Als wärmeliebende Art war ihr Verbreitungsgebiet vor allem jenseits der Alpen im Mittelmeerraum und in Nordafrika stabil, doch im Zuge der Klimaerwärmung gelang ihr endgültig der Sprung über die Alpen und in den letzten 10 Jahren stellen Arachnologen eine massive Beschleunigung der Verbreitung fest.
Je wärmer es im Durchschnitt bei uns wird, umso wohler fühlt sich auch die Wespenspinne.
Diese Verbreitung betrifft freilich primär das insgesamt betrachtete Gebiet, nicht zwangsläufig die Individuendichte. Denn nach wie vor ist die Wespenspinne nicht gerade ein Allerweltskrabbler. Die meisten Menschen haben noch nie eine gesehen, was unter anderem daran liegt, dass die Tiere Standortspezialisten sind. Nur im hohen Gras von möglichst offenen, wenig genutzten Mager- und Feuchtwiesen mit sehr hoher Heuschreckendichte kann man heutzutage – mit etwas Glück – welche finden. Blumenwiesen dieser Art sind im Zuge der intensiven Landwirtschaft selten geworden, aber auf exakt einer solchen sitze ich gerade schwitzenderweise.

Typisches Habitat von Argiope bruennichi
Typisches Habitat von Argiope bruennichi. In solch naturbelassenen, hohen Wiesen an sonnigen Standplätzen fühlen sich Wespenspinnen wohl. (Foto: Torsten Schneyer, 2020)

Wo eine ist, sind viele

Schenkelhoch stehen Distel, Natternkopf und Seifenkraut, um mich herum summt und zirpt es höchstsommerlich und bei jedem Schritt trudeln Wolken von Bläulingen, hüpfen zahllose Kurzfühlerschrecken in vermeintliche Sicherheit. Vor allem die Flucht der vielen kleinen Grashüpferlinge endet nicht selten im Netz der Wespenspinne. Heuschrecken stellen den Löwenanteil der Beute dar, daneben erwischt es aber auch Bienen, Wespen und andere Fluginsekten. Das Netz entlarvt Argiope sofort als Familienangehörige der echten Radnetzspinnen Araneidae: Radial angeordnete Speichen ergeben die Basis für eine, mit ca. 20 cm Durchmesser nicht allzu große, Fangspirale. Die geringe Größe des Netzes verblüfft, wenn man es mit der stattlichen Spinne in seiner Mitte vergleicht. Wahrscheinlich braucht die Wespenspinne kein größeres Netz, denn in einer gesunden Wiese gibt es dermaßen viel Beute, dass ein kleineres völlig ausreicht. Außerdem hat sie die Angewohnheit, ihre Netze direkt in das hohe Gras zu bauen: Kleine Lücken zwischen den Grasbüscheln werden von ihr geschickt ausgenutzt, und wo noch der ein- oder andere Halm im Weg ist, hilft die Spinne nach, biegt diese zur Seite und fixiert sie mit einigen Spinnenfäden. So entstehen mitten in der Wiese überall kleine Mini-Lichtungen mit jeweils einem Wespenspinnennetz darin.

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Das Top-Model unter den heimischen Spinnen

Wie alle Radnetzspinnen sind Wespenspinnen leicht zu fotografieren: Stört man sie nicht, indem man versehentlich das Netz (oder die Pflanzen, an denen das Netzt aufgehängt ist) erschüttert, bliebt sie bewegungslos in der Mitte sitzen und lässt sich wunderbar ablichten. Da Wespenspinnen meist im vollen Sonnenlicht sitzen und sich im Hintergrund eine hübsche Blumenwiese befindet, gelten sie unter Spinnen-Fans als besonders beliebte Motive.

Wespenspinne Argiope
Diese Wespenspinne hat eine Hummel erbeutet. (Foto: Torsten Schneyer, 2020)

Die  Bewohner der kleinen Netze hängen feist und kopfunter in der Mitte… und, wow, für eine Spinne aus Deutschland bringt A. bruennichi Glamour mit ins arachnologische Spiel! Menschen, die zum ersten Mal in ihrem Leben eine Wespenspinne sehen, sind verblüfft ob der grellen, auffällig gelb-weiß-schwarzen Streifenzeichnung des Abdomens und die hell-dunkel geringelten Beine, welche dem Tier seinen deutschen Trivialnamen gaben. Wespen-Mimikri kann nicht ausgeschlossen werden… doch eventuell handelt es sich hier nicht unbedingt um eine Warn- oder Kommunikationsfärbung, sondern um Tarnung! Bestens angepasst an ein Leben als Lauerjägerin im hohen Gras verfügt das Tier über eine Camouflage, die seine Konturen im gleißenden Sonnenlicht zwischen den sommerlich gelbgrünen Halmen verschwimmen lässt. Genauso beeindruckend wie die Färbung sind die Ausmaße, zumindest der Weibchen. Diese erreichen eine Größe von bis zu 25 mm, was sie eventuell, noch vor der Gartenkreuzspinne Araneus diadematus, zu Deutschlands größter Radnetzsspinne macht.

Unterseite von Argiope bruennichi
Unterseite von Argiope bruennichi. Charakteristisch sind die beiden gelben Längsstreifen auf dem Abdomen. (Foto: Torsten Schneyer, 2020)

 

Rätselhaftes Zickzack

Das Netz der Wespenspinne bietet noch eine weitere Auffälligkeit: Wer genau hinschaut, erkennt ein zickzack-förmiges Gespinstband, dass sich lotrecht von oben nach unten durch das Rad zieht: Das sogenannte Stabiliment. Der genaue Zweck dieser Stabilimente ist der Wissenschaft noch verborgen. Wie der Name andeutet, ging man zuerst davon aus, dass sie der Stabilisierung des Netzes dienen…doch gibt es sehr viele sehr stabil bauende Radnetzspinnenarten, die ohne auskommen. Eine weitere Theorie besagt, dass Stabilimente die Tarnung der Wespenspinne im Netz verbessern. Diese Erklärung leuchtet schon eher ein, denn von der Rückenseite aus betrachtet setzt die abdominale Streifenzeichnung der Spinne das Muster des Stabiliments fort. Allerdings kann diese Erklärung auch nicht die allein seligmachende sein, denn von meinen Exkursionen in den tropischen Regenwald sind mir Radnetzspinnen der Gattung Agiope bekannt, die ebenfalls Stabilimente bauen, jedoch keineswegs eine „passende“ Musterung aufweisen. Dass da mehr dahinter stecken muss, zeigen aktuelle Untersuchungen, die einen Zusammenhang zwischen der genauen Form des Stabiliments und dem Alter, dem Geschlecht und auch chemischen Kontaminationen des Lebensraums nahelegen.
Wer weiß, vielleicht sind Stabilimente ja auch Strukturen, die der Kommunikation der Spinnen untereinander dienen und spielen z.B. bei der Partnerwahl eine Rolle?

Stabiliment Argiope
Das Stabiliment im Netz von Argiope bruennichi. Die exakte Form kann variieren. (Foto: Torsten Schneyer, 2020)

Bunt, aber harmlos

Der Lebenszyklus von Wespenspinnen ist für europäische Radnetzspinnen ziemlich typisch: Im Oktober schlüpfen die Jungspinnen und überwintern in ihren Kokons. Im Mai verlassen sie diesen, schwärmen aus und beginnen, eigene Netze zu bauen. Es beginnt eine Phase rapiden Wachstums, die im Juli in der Reifehäutung (nach 9-12 Häutungen) gipfelt. Die adulten Tiere verpaaren sich, im August sterben die Männchen und die Weibchen bauen ihre Kokons. Diese werden noch eine Weile bewacht und im Oktober sterben dann schließlich auch die ausdauernsten Weibchen.


Wissen statt raten!

Wer sich bei seinen Wanderungen näher mit der Bestimmung von Spinnen befassen will, kann sich ein kompaktes Bestimmungsbuch zulegen. Die naheliegende Wahl ist -seit Jahrzehnten, ich bin damit groß geworden- der Kosmos Spinnenführer. Er beschreibt über 400 europäische Arten und es gibt ihn auch als Kidle E-Book fürs Handy.


 

So ziemlich die allererste Frage, die in den sozialen Netzen beim Posten eines Argiope-Fotos zuerst gestellt wird, lautet: „Sind die giftig?“. Die korrekte Klugscheißer-Antwort lautet: Ja, sind sie (weil alle Webspinnen über ein Gift zur Betäubung ihrer Beute verfügen) aber NEIN, du musst keine Angst um deinen Hund oder deine Kinder haben, denn weder ist das Gift potent, noch sind diese Spinnen aggressiv oder könnten sie mit ihren Chelizeren die menschliche Haut durchdringen.“

Wespenspinnen sind für den Menschen nicht gefährlich. Auch eine Gefährdung von Allergikern ist als rein hypothetisch zu betrachten, belegte Fälle sind nicht bekannt. (Foto: Torsten Schneyer, 2020)

Vielmehr möchte ich solchen Leuten zurufen:
„Leint eure Hunde an und nehmt eure Kinder an die Hand. Naturwiesen sind schützenswerte Lebensräume und sollten weder von Menschen durchtrampelt, noch von Hunden durchhetzt werden. Wenn ihr nicht gerade ein dringendes ökologisches Anliegen habt (so wie ich mit diesem höchst informativen Artikel) und bloß eine Runde respektvoll fotografieren wollt, solltet ihr solche Wiesen und die Tiere darin bitte in Ruhe lassen!“

Kuriose Fakten über Wespenspinnen!

Abgebrochene Geschlechtsorgane

Männliche Spinnen begatten die weiblichen mit den Bulben, das sind spezialisierte Organe an den Spitzen des ersten Extremitätenpaares, der Tarsen. Argiope ist eine der Spinnenarten mit besonders übergriffigen Weibchen, welche dazu neigen, männliche Artgenossen noch während der Paarung zu töten und zu verspeisen. Diese versuchen oft, in letzer Sekunde zu fliehen, wobei oft ein Bulbus abbricht. Wie unangenehm, schluck! Der abgebrochene Bulbus verstopft dann die Geschlechtsöffnung des Weibchens. Arachnologen interpretieren dies als eine Strategie der Männchen zur genetischen „Monopolisierung“ der zur Verfügung stehenden Weibchen.

Segelnde Babyspinnen

Argiope gehört zu den Spinnengattungen, die das sogenannte „Ballooning“ betreiben: Nachdem sich die Jungspinnen im Frühjahr aus ihrem Kokon befreit haben, krabbeln sie auf den höchsten Standort, den sie zu Fuß erreichen können und schießen einen langen Spinnfaden in die Luft. Wenn dieser vom Wind gepackt wird, halten sich die Spinnenbabys daran fest und lassen sich im Idealfall über weite Strecken davon tragen. Auf diese Weise verbreiten sich viele Spinnenarten und konkurrieren so nicht um lokale Futter-Ressourcen. Der im Volksmund so genannte „Altweibersommer“, bei dem Hecken und Wiesen von zahllosen Spinnweben bedeckt sind, geht auf diese Aktivität zurück und eine entsprechende Zeit gibt es auch im Frühling.

Geheimnisvolle Darmbakterien

Jedes höhere Tier trägt in seinem  Organismus eine Lebensgemeinschaft aus verschiedenen symbiontischen Bakterien in unterschiedlicher Zusammensetzung, die man „Mikrobiom“ nennt.
Eine aktuelle Studie (siehe Linksammlung am Ende dieses Artikels) hat nun herausgefunden, dass das Mikrobiom der Wespenspinne weitgehend aus einem einzigen, der Wissenschaft bisher unbekannten Bakterium namens „DUSA“ (dominanter unbekannter Symbiont von Argiope bruennichi) besteht. Zum Vergleich: Das Mikrobiom des Menschen umfasst nach aktuellem Kenntnissstand mindestens 600 Arten! Erste genetische Analysen deuten auf einen der Bakteriengruppe Tenericute verwandten Organismus hin. Bakteriensymbiosen dieser Art sind dafür bekannt, das Verhalten ihrer Wirte zu beeinflussen. Es bleibt spannend um die Wespenspinne!

Wespenspinne Augen
„Gesicht“ einer Wespenspinne. Argiope hat acht Augen und einen guten Rundum-Blick. Dennoch verlässt sie sich vor allem auf ihren Tast- und Vibrationssinn. (Foto: Torsten Schneyer, 2020)

Weiterführende Links

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